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Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tarek Siddiqui
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Lambertus angerufen und war ohne lange Vorrede zum Kern der Sache gekommen: Frei hätte ich, natürlich, das wisse er, aber es gäbe da einen Krankentransport, einmal Cote d’Azur und zurück, ob das nicht etwas für mich sei? So, wie er es sagte, klang es nach einer Woche Südfrankreich zum halben Preis, verlockend. Den Norden und die Mitte Deutschlands hielt schon seit Jahresbeginn eine Kältewelle umfangen, mit vereisten Straßen, Flugplätzen und Oberleitungen, kaum ein Fernzug fuhr mehr pünktlich. Ich wusste ziemlich genau, was mich erwarten würde bei einer solchen Ausfahrt: endlose Kilometer auf der Autobahn, minimaler Aufenthalt vor Ort, sehr wahrscheinlich irgendwelche Probleme mit den Papieren.
    „ Mit wem wäre ich denn unterwegs?“
    Lambertus seufzte. „ Mit Dommel. Ja, ich weiß, er hat so seine Ecken. Ist aber eigentlicher ein lieber Junge. Außerdem der Einzige, der zur Verfügung steht.“
    „ Wenn der hören könnte, dass er als lieber Junge bezeichnet wird, würde er Sie wahrscheinlich mit seinen Patronengurten erwürgen.“
    Lambertus lachte. Ob das ein Ja sei.
    „Wann soll’s denn losgehen?“
    „ Am besten sofort. Auto steht bereit und ist betankt, keine besondere Ausrüstung, kein Arzt.“
    Das klang verdä chtig unkompliziert. Rückholtransporte, das waren meistens Brüche, gelegentlich internistische Probleme. Und für eine Strecke dieser Länge würde man, wenn möglich, das Flugzeug verwenden. Ich erkundigte mich, was der Patient denn habe.
    Lambertus schwieg einen Moment. „ Ich weiß nicht genau, um ehrlich zu sein. Irgendetwas Psychisches, Kollaps oder so. Aber gut kontrolliert, kein Arzt.“
    Ich sah mich ü ber Stunden mit einem schreienden oder sonst wie fassungslosen Menschen im Patientenraum des Krankenwagens sitzen und fragte, ob das jetzt alle schlechten Botschaften gewesen wären.
    „ Hmm. Aber Sie machen es doch, oder?“
    Er wusste seine Leute eben einzuschä tzen.

    Wir waren mit einem umgebauten, stark verlängerten Mercedes unterwegs, der sich mit Ausnahme eines lastwagengroßen toten Winkels außerhalb enger Städte fast wie ein normaler PKW fuhr. Der Umweg kostete uns zwei Stunden; als wir wieder auf die Autobahn einschwenkten, dunkelte es bereits. An einer Raststätte aßen wir hastig und nahmen noch einen Snack mit für die Nacht; bei Straßburg überquerten wir die Grenze, wie von Lambertus erbeten, um Autobahngebühren zu sparen. Alle drei oder vier Stunden lösten wir einander am Steuer ab. Es gab einen Fahrtenschreiber, aber wir wechselten die Scheibe nicht, und ich glaube kaum, dass wir legal unterwegs waren. Lambertus wich bei solchen Fragen gern auf Formulierungen aus wie: Solange man weiß, was man tut, kann man tun, was man will . Vermutlich sagte seine langjährige Erfahrung ihm, dass Kranken- und Rettungswagen selten überprüft wurden. Und dass wir nicht in einen Unfall verwickelt sein würden - das setzte er voraus.

    Die letzten Kilometer setzten mir dennoch zu: Die Orientierung im nächtlichen Marseille mit schmerzenden Augen; das kranke, gelbe Licht der Natriumdampflampen. Wir hielten uns in Richtung Toulon. Gegen drei Uhr morgens erreichten wir das kleine Provinzkrankenhaus unweit der Küste. Ein dürrer Mann an der Rezeption mit weit herabhängenden Tränensäcken verstand unser karges Schulfranzösisch zwar nicht, führte uns aber in ein leeres Krankenzimmer, wo wir nur die Jacken ablegten und Minuten später einschliefen.

    Am nächsten Morgen wurden wir von einer blau beschürzten Krankenschwester schon früh wieder aus den weißen Betten gescheucht. Mit ein paar Spritzern kalten Wassers im Gesicht und hastig geputzten Zähnen traten wir vor das Portal des Krankenhauses. Ein blasser, kalter Himmel erwartete uns, das Meer war nicht zu sehen. Neben einem aufgeräumt wirkenden romanischen Kirchenbau fanden wir eine Bäckerei und frühstückten ausgiebig. Um neun waren wir zurück im Krankenhaus und gelangten mithilfe des Namens unseres Patienten auf die richtige Station.

    Der Mann war zweiundfünfzig Jahre alt, das ging aus den Papieren hervor, und hatte dichtes, nur stellenweise ergrautes Haar. Sein Polohemd und der auf den Schultern aufliegende Kaschmirpullover hätten gut zu einem Vorstandsmitglied im Golfurlaub gepasst. Er saß in einem Rollstuhl, erhob sich aber mühelos, um uns zu begrüßen. Der Händedruck war trocken und fest, er hatte eine kleine, braune Reisetasche dabei und wirkte völlig gefasst und ruhig. Wir waren diejenigen,

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