Circulus Finalis - Der letzte Kreis
glaubhafter Verhinderungsgrund wollte mir am Telefon nicht einfallen. Kurz dachte ich noch darüber nach, die Gewaltfahrt nach Südfrankreich als Entschuldigungsgrund anzuführen, dann obsiegte aber doch ein vages Interesse, ob meine kleine Geschichte sich bereits herumgesprochen hätte. Seit meiner Erfindung fühlte ich mich dem Verein auf eine nicht eindeutig zu beschreibende Weise stärker verbunden, und obwohl mir bewusst war, dass das kein stabiler Zustand war, machte dieses ungewohnte Gefühl mich neugierig.
Wäre ich nicht zum ersten Mal dabei gewesen, dann hätte ich vielleicht Unterschiede bemerken können: Die Auswahl der Teilnehmer war stark eingeschränkt worden, und eine gewisse trockene Spannung erfüllte den Raum, wie bei einem konspirativen Treffen. Gut möglich, dass mir dennoch nichts aufgefallen wäre; der Schritt von der Hilfsorganisation zum Geheimbund war im Grunde nur klein. Wir erfüllten alle Voraussetzungen: Eine offizielle und eine inoffizielle Hierarchie, eigene Rituale, einen besonderen Ehrenkodex, eine gewisse Disziplin, hermetische Abgeschlossenheit nach außen und vor allem das Bewusstsein eines höheren Zwecks. Das Einzige, was fehlte, war ein mysteriöses, ein esoterisches Element, und das hatte ich ohne besondere Absicht geliefert. Aber es sollte noch einige Zeit verstreichen, bis ich begann, die Geschehnisse auf diese Weise zu begreifen.
Vorläufig war ja auch nichts geschehen, und Metz projizierte nur transparente Folien mit computergedruckten Statistiken auf eine wellige Leinwand. Balkendiagramme, Tortendiagramme. Karten mit der Verteilung der Einsatzorte. Durchschnittliche Anfahrtszeit, Alarmierungen nach Typ, nach Tageszeit, im Verlauf der Woche, im Verlauf des Jahres. Kosten pro Einsatz, Einnahmen, Fehleinsätze. Virtuos wie ein Börsenmakler erläuterte er die farbigen Muster, und mir wurde einmal mehr bewusst, wie leicht sich jeder beliebige Zusammenhang aus einer Handvoll Zahlen konstruieren lässt. Zerstreut überlegte ich, wie man das vielleicht zur Verbreitung meiner Geschichte nutzen könnte.
Ich hö rte den Rettungswagen ausrücken, und nutzte die Gelegenheit, um mich kurz zu entschuldigen. Mit meiner Tasche, die ich vorsorglich an der Garderobe vor der Tür deponiert hatte, ging ich die wenigen Meter zum verlassenen daliegenden Wachraum.
Nur eine Leseleuchte brannte, dazu etwas unruhig die farbigen Leuchtdioden auf dem Kontrollpult. Ich zog das Kreuz aus der Tasche; es war dunkler, etwas altmodischer und sah insgesamt doch etwas anders a us als das Original. Schnell nahm ich den Austausch vor und atmete auf. Ohne den direkten Vergleich war die Wahrscheinlichkeit gering, dass jemand einen Unterschied bemerken würde. Ich zog die Tür hinter mir zu und begab mich zurück zur Versammlung
Inzwisc hen näherte Metz sich dem Ende seiner Ausführungen, Lambertus steuerte noch ein paar Informationen zur wirtschaftlichen Gesamtsituation des Vereins und stellte Ersatz für die beiden ältesten Fahrzeuge sowie bis zu zwei zusätzliche, neue Krankenwagen in Aussicht.
„ Um ehrlich zu sein“, führte er aus, „das ist gewagt, aber wenn wir jetzt nicht wachsen, profitieren die Rotkreuzler, und deshalb bin ich dafür, alles anzuschaffen, was wir betreiben können, ohne die Wache umzubauen.“ Mit halb erhobener Hand forderte er Beifall ein, der in Form von gewichtigem Kopfnicken auch folgte. Die Spannung fiel von mir ab, meine Augenlider wurden schwer. Die Südfrankreichtour wirkte noch nach.
Mit einem Mal war ich wieder hellwach. Metz Blick ruhte auf mir, sein Mund war halb geöffnet, doch ohne Laut. Es lag ein Glanz in seinen Augen und eine Spannung in der Luft. Ich sah, wie Härting, unser Hubschraubermann, seinem Blick folgte und zu mir hinsah. Statt einen Witz oder einen Tadel angesichts meiner offenkundigen Schläfrigkeit zu machen, fing er an, mit einer seltsam tonlosen Stimme zu sprechen, ohne den Blick von mir zu nehmen.
„ Das war, wenn ihr so wollt, der offizielle Teil. Ich habe noch etwas, mehr in eigener Sache, aber ich glaube, dass es uns alle betrifft. Hört es euch in Ruhe an. Denkt darüber nach. Wenn jemand nichts damit anfangen kann – so gar nichts, dann würde ich ihn bitten, den Raum zu verlassen. Und in jedem Fall wäre es mir wichtig, dass wir vorerst nach außen Stillschweigen bewahren. Wer das nicht kann oder will, soll bitte jetzt gehen.“ Seine Augen lösten sich von mir, und er blickte in die Runde. Ich sah Schlager sich aufrichten, die
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