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Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tarek Siddiqui
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Kollegen davon augenscheinlich nicht in gleicher Weise betroffen. „All diese unendlichen Mengen an Plastikspielzeug, gefertigt in Asien unter oft unmenschlichen Bedingungen, bemalt mit Farben, deren Reste ungeklärt die Flüsse verschmutzen. Transportiert über tausende von Kilometern, hier verramscht, wieder weggeworfen, kaum noch in der Lage, die Aufmerksamkeit eines Kindes für mehr als ein paar Minuten zu fesseln, bei der ersten unbedachten Bewegung wieder zerbrochen, verloren, vergessen.“ Ich wandte ein, dass Spielzeug aus Schokoladeneiern beträchtliche Preise auf Sammlerbörsen erzielten, aber er hörte mich gar nicht.
    „ Wir hüllen noch den kleinsten Artikel in Plastik ein, je mehr Schichten, desto besser, so als sei er für die Ewigkeit gemacht. So versuchen wir, uns selbst um das Bewusstsein der Vergänglichkeit zu betrügen. Obwohl alles, was wir zum Leben benötigen, kostbar und knapp ist, sind wir nicht in der Lage, zu wirtschaften, zu haushalten, und der Verschwendung Herr zu werden. Verschwendung von Ressourcen, von Leben, von Gesundheit; Verschwendung von Zeit für Dinge, die niemandem Freude machen oder nützen, Verschwendung von Aufmerksamkeit, von Vertrauen und Werten.“
    Irgendwie mochte ich ihn und seine Gedanken, und gerade deshalb war ich der Meinung, dass er keine Schonung verdien e. „Und das hat Sie bewogen, Ihr eigenes Dasein verschwenden zu wollen?“
    Nur ein kurzes Stolpern der Atmung war zu hö ren. Dann sagte er: „Kam mir in dem Moment wie eine gute Idee vor, aber wahrscheinlich haben Sie recht, konsequent ist das nicht.“

    Gegen 23 Uhr lieferten wir unseren Patienten in der heimischen Psychiatrie ab, einem neoklassischen Bau, würdevoll von alten Buchen und Kastanien eingerahmt. Er bedankte sich und stand mit seiner Ledertasche da in der Kälte, als sei er dienstlich unterwegs und checke in ein Fünfsternehotel ein. Mechanisch suchte er nach seiner Geldbörse, sah mir dann ins Gesicht, und so etwas wie ein Lächeln glitt über seine Züge. Statt eines Scheines gab er uns die Hand. Dommel, kaum außer Hörweite: „So ein Mist, fast hätte er Trinkgeld gegeben. Ich hab noch nie Trinkgeld bekommen.“ Keine überraschende Enthüllung.
    Dann hielt er inne und sah mich gespannt an. „ Und? Hast du irgendetwas von ihm erfahren?“
    Ich verstand nicht. Dommel machte eine ungeduldige Handbewegung, so als ließ e ich mir mit dem Ausspielen der nächsten Karte zu viel Zeit.
    „ Der Selbstmordversuch. Die Legende. Circulus Finalis . Du weißt mehr, als du sagst.“ Er grinste sein breites Jetzt-hab-ich-dich-erwischt-Grinsen.
    Wir tankten ein letztes Mal, fü llten das Fahrtenbuch und ein Formular aus, und fegten kurz den Patientenraum sauber. Als ich todmüde wieder meine Wohnung erreichte, wartete eine Nachricht von Siad auf dem Anrufbeantworter. „Hey, alter Mann, ich hoffe, das ist okay, habe da eigenmächtig ein bisschen was in die Wege geleitet. Aber gut. Wirst schon sehen, keine Sorge. Lass dich überraschen. Meld‘ dich mal.“
    Trotz der Mü digkeit hörte ich eine besondere Vibration, eine unterdrückte Erregung aus seiner Stimme heraus. Ich verspürte eine leichte Verstimmung angesichts der Selbstverständlichkeit, mit der Siad die Sache vollständig in die Hand genommen hatte. Er genoss es ganz offensichtlich, sich als Schöpfer betätigen zu können. Ich erinnerte mich daran, dass er auf seine eigene, unnachahmliche Art religiös war. Ohne jede Anmaßung setzte er voraus, dass Gott, nach dessen Ebenbild er ja geschaffen war, ihm notwendigerweise ziemlich ähnlich sein müsse: Kreativ, mit reichlich Humor ausgestattet, dazu nicht kleinlich.
    Zu dieser Nachtstunde jedoch, nach mehr als dreiß ig Stunden Reise, unterbrochen von vielleicht vier Stunden Schlaf, war ich dankbar für alles, worum ich mich nicht selbst würde kümmern müssen.

17
    Für den folgenden Tag, es war der 7. Januar, hatte Metz eine Versammlung einberufen, bei der er die Statistik der Einsätze des vergangenen Jahres präsentieren würde, wie er es in regelmäßigen Abständen tat. Es gab eine schriftliche Einladung mit drei Tagesordnungspunkten, Lambertus würde etwas Erhellendes zum Thema Finanzen sagen, und dann stand noch Allfälliges auf dem kopierten Zettel. Die Kältewelle hielt an, und am liebsten wäre ich nicht mehr vor die Tür getreten. Bisher war ich diesen Veranstaltungen unter einem Vorwand ferngeblieben, aber für dieses Mal hatte Metz mich persönlich eingeladen, und ein

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