Circulus Finalis - Der letzte Kreis
in einer Hinterhofautowerkstatt vorstellen können, wo er vierzehn Stunden am Tag mit ölig-schwarzem Gesicht schraubte. Tatsächlich war er als Modellbauer äußerst geschickt und verfügte über eine reich ausgestattete Werkbank, beruflich aber hatte er sich der Mathematik zugewandt, und noch Zeit gefunden, nebenbei ein vollwertiges Informatikstudium zu absolvieren, weil ihn die Dynamik auf diesem Gebiet faszinierte. Inzwischen arbeitete er an seiner Promotion und verfolgte nebenher ständig eigene Projekte, von denen ihn vermutlich jedes einzelne wenn nicht gar reich, dann doch zumindest wohlhabend hätte machen können. Aber statt etwas davon bis zur Marktreife zu entwickeln, probierte er lieber immer neue Ideen aus. Sein einziger Zwiespalt dabei waren die immer wieder gebrochenen Versprechen gegenüber seinen in Würde ergrauten Eltern, die ihren Sohn so viel lieber als erfolgreichen Geschäftsmann denn als ewigen Studenten sehen wollten. Dabei war sein Verhältnis zum Geld auf jenem kindlichen Niveau stehen geblieben, wo es schon unglaublich war, dass die Familie für einen fünfstelligen Betrag ein bescheidenes Auto anschaffte. Arbeitete Siad für jemanden, dann immer in dem Gefühl, deutlich überbezahlt zu sein.
Siad also: Während erkaltende Reste der Soße auf dem Plastikgeschirr langsam eindickten, erzählte ich ihm von meiner Idee. Nicht von ihrem Zustandekommen, das hätte dem Gespräch einen düsteren Anstrich gegeben, und ich kannte seine Neigung zu Gefühlsschwankungen. Nein, ich versuchte, ihm zu vermitteln, dass es sich um einen harmlosen Spaß handelte, um eine Art Aprilscherz, oder besser noch: um so etwas wie ein Spiel, eine Schnitzeljagd. Ich wusste, dass er sich regelmäßig in einer festen Runde zu Rollenspielen traf, bei denen ein Spielmeister Hindernisse, Rätsel und Labyrinthe erschuf, denen die übrigen Spieler sich in Gestalt von Elfen, Zauberern, Kriegern und was weiß ich noch alles stellten. Er war sofort begeistert von dem Vorhaben, meiner improvisierten Geschichte einen Unterbau zu verschaffen, und ich verspürte so etwas wie den Stich eines schlechten Gewissens, weil ich wusste, dass seine Doktorarbeit in den nächsten drei oder vier Tagen nicht vorankommen würde.
Nach dem Essen gingen wir ins Rechenzentrum. Ich konnte kaum glauben, mit welcher Geschwindigkeit unter Siads Fingern die Eckpfeiler einer parallelen Welt entstanden, in der ein maurischer Arzt namens Sarazul einen geheimen Orden begründet hatte. Es gab eine Verbindung zum Severinsbund, die nur vage angedeutet wurde, aber im Zwielicht der Geheimwissenschaften war das kein Nachteil: Hier gewann an Plausibilität, was fraglich war und dementiert wurde, und je mehr konkrete Beweise fehlten, desto verborgener und bedeutender musste das Geheimnis sein. Anstelle von Quellenangaben fügte Siad ein paar kryptisch klingende Verknüpfungen ein, die ins Nichts führten oder hin zu einer nüchternen Nachricht, die besagte, dass die angeforderte Seite aus medienrechtlichen Gründen nicht mehr verfügbar sei.
In mehreren Online-Foren stellte Siad unter verschiedensten Namen vage, schlecht verschlüsselte Fragen und lächelte zum ersten Mal zufrieden. „Wer sucht, der wird finden. Das sollte ein Selbstläufer sein. Morgen nehme ich mir ein paar fremdsprachige Foren vor, falls jemand genauer schaut. Geht schnell.“
Ich war begeistert.
„Das alles wird aber noch nicht reichen“, sagte Siad selbstkritisch. Er scannte gerade meine Skizze des durchbrochenen Augenkreises ein. „Wir brauchen etwas zum Anfassen. Eine Reliquie, einen Pokal. Vielleicht eine Schrift. Einen Gegenstand des Glaubens. Habt Ihr ein Wappen in Eurer Wache? Ein Siegel, irgendetwas, dass wir modifizieren dem wir eine andere Bedeutung geben können?“
Im Lambertus Bü ro hing ein auf einer Holztafel aufgezogenes Wappen, aber es wäre schwierig, es unbemerkt in die Hand zu bekommen. Dann fiel mir das Kreuz im Wachraum ein. Siad war begeistert.
„ Aber wie soll ich es mitnehmen, ohne dass jemand etwas merkt?“
„ Du brauchst es nicht mitzunehmen. Beschreib' es mir nur genau. Du musst es für mich abmessen, dann besorge ich Ersatz, und du tauschst es aus. Das ist schlicht, aber perfekt. Wir geben dem alten Symbol eine neue Bedeutung, das ist ein guter Ausgangspunkt…“
„ Toll – nur: Ausgangspunkt wofür?“
Aber Siad war nicht zu bremsen: „ Es muss etwas geben, eine Suche, ein Ziel. Eine Frage, die zu stellen ist. Oder eine Wahrheit, die sich den
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