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Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tarek Siddiqui
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Sterbenden offenbart, und die es zu erlangen gilt. Überlass' die Details nur mir…“

    Ich weiß noch, wie mir auf der Rückfahrt im Zug fast schwindlig war angesichts von Siads Eifer und der Intensität seiner Grübeleien, begleitet von immer wieder aufs Neue hochgezogenen Brauen, die kaum noch den Weg zurück in ihre angestammte Position fanden. Das Notausgangslicht spiegelte sich in der Scheibe, hinter der kahle Felder und die Strommasten der Überlandleitungen vorbeizogen. Ich weiß noch, wie ich mich darüber wunderte, dass er nicht hinterfragte, welchem Zweck diese Mühen dienten, und ob es ein sinnvoller oder lohnender wäre. Dass es mir selbst nicht anders erging, machte ich mir nicht bewusst.

    Bevor ich den Bus zur Bellavista nahm, besuchte ich die Kollegen auf der Wache, die dankbar waren für die Ablenkung. Bald kam der seit Stunden überfällige Einsatz, und ich hatte Zeit genug, das Kreuz, das ich noch nie eines näheren Blickes gewürdigt hatte, von allen Seiten anzusehen und ein paar Notizen zu machen.
    Siad war zufrieden, als ich ihn anrief. „ Das bekomme ich hin“, versicherte er. „Ich kenne einen Laden, der führt alles. Verzierte Koranausgabe, Jadebuddhas, Kreuze und Nachbildungen von Ikonen.“
    Ich fragte ihn, wo wir die Schriftstü cke verstecken sollten. Er lachte nur, ich sah sein Grinsen vor mir. „Überlass' das dem Meister des Spiels. Dann kannst du sogar mitsuchen.“
    Ich sagte ihm, dass ich Rä tsel hasste.

16
    Eine Serie von Tunneln: Dunkelheit und Schatten, dann wieder trübe Winternachmittagshelligkeit, doch ausreichend, um das Auge zu blenden. Im Halbschlaf nahm ich wahr, dass wir uns auf einer Landstraße befanden; Dommel hatte eine Umfahrung gewählt, die uns einen Stau ersparen sollte. „Oder wir fahren mit Blaulicht auf dem Standstreifen“, ulkte er und lachte scheppernd. Langsam wurde ich wach.
    Das Schlafen im Sitz war unerquicklich, weil sich die Rü ckenlehne kaum zurückstellen ließ. Wir wechselten uns ab. Wenn ich fuhr, schnarchte Dommel gelegentlich mit weit offenem Mund, und ich konnte es ihm nicht verdenken.

    Immerhin trug er mir die eingeklemmte Hand bei unserer ersten Begegnung, zu der ich ja auch nur sehr indirekt beigetragen hatte, wohl nicht mehr nach; wer weiß, was ihm inzwischen alles passiert war. Er ließ sich nach einem einleitenden „du gehörst ja nicht zu den ganz Dummen, oder?“ sogar dazu herab, mich an seinen bevorzugten Verschwörungstheorien teilhaben zu lassen. Alles war er bereit, in Frage zu stellen, außer der Authentizität der Autorennen, auf deren Ergebnisse er an den Wochenenden wettete.
    Davon abgesehen hatte er eine kleine Schwä che für kulturelle Verallgemeinerungen, dabei einen beinahe schon wieder erfrischenden Materialismus an den Tag legend. Über allem wie ein allgegenwärtiger, abgestandener Geruch seine demonstrative Arroganz, diese traurige Mischung von mangelhafter Selbstwahrnehmung und dem fehlenden Willen zum Verständnis für das Andere.
    Mehr noch als all das ging mir auf die Nerven, dass nichts an ihm echt zu sein schien: weder sein Zynismus noch sein Humor. Jedem seiner Scherze ließ er vorsichtshalber gleich eine mechanisch ratternde Lachsalve folgen. Schon in der ersten Stunde unserer Fahrt bot er an, mir Skat zu erklären, und ließ sich nicht dadurch davon abhalten, dass ich dankend ablehnte. Das war seine Rache: Der Rettungsdienstalltag war für ihn eine unterbrochene Suche nach den erforderlichen zwei Mitstreitern für eine Partie, und er wurde nicht müde, auch mich immer wieder aufs Neue zu befragen, der ich weder die Regeln kannte, noch das geringste Interesse aufbrachte. Spielverderber, schimpfte er dann; ohne den zweiten diensthabenden Kollegen war es ungleich schwerer für ihn, eine Partie auf die Beine zu stellen. Kam die Runde doch zustande, konnte sich dem keiner entziehen: Auf eine bemüht klingende Art untermalte er das Spiel mit lautem Stöhnen oder aber Triumphgeheul.
    Gelegentlich, wenn man seine ohrenbetä ubende Art der Fröhlichkeit ohne Gegenwehr ertrug, gab es Momente, in denen man sich ganz gut mit ihm unterhalten konnte. Gelegentlich gönnte er sich selbst eine Pause und sah für eine Weile davon ab, sich zu präsentieren und sein Gegenüber provozieren zu wollen. Dann zog die dämmrige Landschaft ein wenig schneller vorbei, und wir schienen mehr Kilometer zu machen.

    Am Vormittag, nachdem auch der vorletzte Tag meines Urlaubs ohne ein Zeichen von Hanna angebrochen war, hatte

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