Circulus Finalis - Der letzte Kreis
Arme vor der Brust verschränken und tief Luft holen, aber er blieb auf seinem Plastikstuhl sitzen.
„ Gut. Das freut mich.“ Auch Metz holte tief Luft.
„ Ich weiß nicht, ob ihr schon jemals das Gefühl hattet, dass unsere Organisation und speziell die Tätigkeit im Rettungsdienst mehr ist als ein Transportunternehmen für Kranke und Verletzte.“ Sein nach Zustimmung suchender Blick traf auf abwartende Gesichter. „Mir ist es jedenfalls oft so gegangen. Vor zwei Wochen hatte ich dann ein Erlebnis, das ich euch gerne erzählen möchte.“ Es folgte eine kurze Erzählung unserer Schicht, des unvorhergesehenen plötzlichen Herztodes unseres Patienten und seiner letzten Worte, die Metz fast wie einen Reim wiedergab; dann des Autounfalls mit den auf erstaunliche Weise unverletzt gebliebenen Insassen. „Kollege Haller hier“, er wies auf mich, „war dabei – und ich möchte ihn bitten, noch einmal zu erzählen, was er mir nach diesem Einsatz erzählt hat.“
Es war eine Sache, die Geschichte um vier Uhr morgens drei ü bernächtigten Menschen zu erzählen, zwei davon noch unter dem Eindruck des gerade Geschehenen; bei schwacher Beleuchtung und mit dichten Nebelschwaden in der blauen Dämmerung vor der Tür. Der Mannschaftsraum war nackt und hell, von Leuchtstoffröhren gleichmäßig erleuchtet bis in die letzte Ecke des Bodens mit seinen siebzigerjahregrünen Teppichfliesen. An der Breitseite hing ein in Zinn gegossenes, auf Holz montiertes Wappen des Vereins, gegenüber Fotos vom Besuch eines längst nicht mehr im Amt befindlichen Bundespräsidenten, vorne auch hier ein Kreuz. Ich entschied mich dafür, sitzen zu bleiben, und begann mit den Worten: „Es ist nur eine alte Geschichte. Für mich war es das zumindest immer.“
Auch jetzt noch gibt es einen Widerstreit zwischen dem Geschichtenerzähler in mir, dieser Identität, die mir zu jener Zeit neu war, und meinem kritischen Selbst und seinen Einsprüchen. Als Erzähler war ich gut, trotz der profanen Atmosphäre des Ortes. Über die konstruierten Zusammenhänge nachgegrübelt und vor allem auch, sie Siad dargelegt zu haben, machte es mir leicht, eine stimmigere, vollständigere Geschichte zu erzählen als beim ersten Versuch. Dabei vergaß ich nicht, der ursprünglichen Version treu und insgesamt hinreichend vage zu bleiben, um Raum für zukünftige Ergänzungen zu lassen, und auch, weil gerade das einen Teil der Wirkung ausmachte.
Wä hrend ich sprach, blickte ich unverwandt in die Augen meiner Kollegen. Man macht sich selten bewusst, auf wie viele unterschiedliche Arten ein Ergebnis zustande kommen kann. Die Anwesenden waren alle völlig voneinander verschieden und hatten zweifellos ihre eigenen Gedanken zu dem, was Metz und ich da vor ihnen ausbreiteten, doch zumindest zu einem gewissen Grad ließen sich die meisten darauf ein. Ich sah es an ihren Blicken, an einer gewissen Faszination, die im Gegensatz zu der Geschichte wirklich war, und an den alibiartigen Fragen, die der eine oder andere zwischendurch stellte.
Nur Schlager schü ttelte den Kopf, und ich war mir fast sicher, dass er die Geschichte nie glauben würde. Vielleicht, weil er zu scharfsichtig war, vielleicht nur, weil sie sich nicht mit seiner zynischen Lebenseinstellung vertrug. Wieder schüttelte er den Kopf, seine immer etwas fettigen Haare wippten hin und her, und die Brille rutschte um die Fingerbreite hinunter, die ihr gestattet war, bevor ein energisches Kräuseln der Nase sie wieder in die Ausgangsposition zurückschob. „Geh so ein Blödsinn.“ Er sah mich direkt an. „Dachte, wenigstens du hättest ein bisschen Hirn. Großer Irrtum, das.“ Ich musste ein Grinsen unterdrücken, aber außer mir schien niemand etwas lustig zu finden. Er stand auf und trat zur Tür.
Mit einer gewissen Bewunderung sah ich ihm nach, obgleich seine herablassende Art mir schon oft genug auf die Nerven gegangen war. Der Ehrgeiz, alle zu überzeugen, rang mit der Erleichterung darüber, dass zumindest einer kritisch genug war, um uns den Rücken zu kehren. Dann erschrak ich angesichts des Blickes, mit dem Metz und Wegmann dem durch die Tür tretenden hinterher sahen.
Aber das Amoralische, solange es nur intelligent oder unterhaltsam ist, hat seinen eigenen Reiz, und liegt oft nä her als Wahrhaftigkeit und Menschlichkeit. Ich setzte an, um den letzten Teil der Geschichte zu erzählen; das, was Siad und ich uns erst vor wenigen Tagen ausgedacht hatten. Noch bevor ich zwei Sätze verkündet hatte,
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