Circus
beantwortet, was heißt, daß ich nichts gehört habe. Ich habe einen ausgesprochen tiefen Schlaf.«
Sergius blickte ihn sinnend an. »Sie sind stark genug, um es mit der linken Hand geschafft zu haben.«
»Soll das eine Anklage sein?« fragte Kan Dahn mit sanfter Stimme.
»Ich stelle nur Betrachtungen an«, erwiderte Sergius.
»Vladimir und Yoffe waren meine Freunde, sehr gute Freunde. Das wissen alle schon seit Jahren. Warum sollte ich jetzt plötzlich so etwas Verrücktes tun? Außerdem – wenn ich es wirklich getan hätte, dann hätten Sie keine Anzeichen eines Kampfes entdecken können: Ich hätte jeden unter einen Arm geklemmt und die beiden einfach weggetragen.«
»Wirklich?« fragte Sergius skeptisch.
»Wünscht der Herr Oberst eine kleine Demonstration?«
»Das wäre sicher nicht uninteressant.«
Kan Dahn deutete auf zwei gedrungen gebaute Polizisten, die in einiger Entfernung beieinander standen. »Die sind doch viel stärker und größer als die beiden Brüder, oder?«
»Ich nehme es an.«
Kan Dahn war ein Riese, aber er bewegte sich mit der Geschwindigkeit und der Geschmeidigkeit einer Katze. Bevor die beiden Polizisten Zeit hatten, abwehrend die Hände zu heben, hatte Kan Dahn um jeden einen seiner Gorillaarme geschlungen und sie hochgehoben. Die beiden ruderten wie wild mit den Beinen – ihre Arme waren eingeklemmt –, um sich aus der Umarmung zu befreien, die sie – wie ihren Gesichtern eindeutig zu entnehmen war – durchaus nicht als liebevoll empfanden.
»Wenn ihr nicht aufhört, euch zu wehren, muß ich euch ein bißchen drücken«, drohte Kan Dahn mit gutmütiger Stimme.
Im Glauben, daß Kan Dahn unmöglich noch fester zudrücken könnte, wehrten die beiden sich um so heftiger. Aber Kan Dahn konnte noch fester drücken. Einer der Männer schrie auf, der andere grunzte, und beiden stand vor Schmerz der Schweiß auf der Stirn. Kan Dahn verstärkte den erbarmungslosen Druck noch etwas. Und jetzt gaben die beiden Männer auf. Vorsichtig setzte Kan Dahn die beiden ab, trat einen Schritt zurück und beobachtete sorgenvoll, wie sie zusammenbrachen.
Sergius hatte das Schauspiel mit allergrößtem Interesse verfolgt und schaute nachdenklich auf die beiden Häufchen Elend hinunter. »Das hätte Angelo sehen sollen. Sie, Kan Dahn, sind hiermit entlastet.« Er drehte sich um, als Hauptmann Kodes hereingestürmt kam. »Na?«
»Alles, was wir haben, sind Fingerabdrücke, Oberst. Es gibt an vielen Stellen zwei verschiedene Gruppen von Fingerabdrücken – die müssen von den beiden Brüdern stammen –, und zwar an ziemlich ungewöhnlichen Stellen: an den Wänden, an den Fenstern, an der Innenseite der Tür – Stellen, an denen Menschen sich im Laufe eines heftigen Kampfes vielleicht festzuhalten versuchten. Und dann fanden wir noch zwei andere Gruppen von Abdrücken.«
»Aha.« Sergius dachte kurz nach und beobachtete dabei geistesabwesend die mühevollen Anstrengungen der beiden Polizisten, wieder auf die Beine zu kommen. Ihre Schmerzen ließen ihn offensichtlich völlig kalt. Schließlich wandte er sich an Wrinfield: »Wir müssen gleich heute morgen von allen Circusleuten die Fingerabdrücke nehmen. In der Halle, in der auch das Gastspiel stattfinden wird.«
»Ist es wirklich notwendig …«
Sergius mußte sich sichtlich anstrengen, geduldig zu bleiben. »Ich habe meine Pflicht zu tun. Und ich sage jetzt zum drittenmal, daß es die Pflicht eines Polizisten ist, keine Möglichkeit außer acht zu lassen.«
Obwohl Crau nördlich von der Hauptstadt lag, lag der Hauptbahnhof der Stadt nicht, wie man erwartet hätte, im Süden – aufgrund der ungünstigen landschaftlichen Gegebenheiten verlief der Schienenstrang um die Stadt herum und kam vom Norden herein. Und so fuhr auch die schwarze Limousine, die auf dem Weg zum ›Winterpalast‹ war, in Richtung Süden, und zwar auf einer Straße, die in die Hauptverkehrsader der Stadt überging. Verwirrenderweise hieß diese von Norden nach Süden verlaufende Straße Weststraße.
Bruno saß mit Dr. Harper im Fond des Wagens. Wrinfield, dessen düsterer Gesichtsausdruck deutlich erkennen ließ, daß seine schlimmsten Befürchtungen bezüglich Crau bald bestätigt wurden, saß schweigend neben dem Fahrer. Das Wetter war kaum dazu angetan, die Stimmung zu heben – es wurde langsam hell, aber die Helligkeit ließ lediglich die grauen Wolken besser sichtbar werden, aus denen dichter Schnee quoll.
Nachdem sie etwa hundert Meter gefahren
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