Circus
nächsten Opfers den an sie gestellten Forderungen sofort nachkommen, weil sie ja damit rechnen können, daß das Opfer lebendig zu ihnen zurückkehrt. Wenn die Kidnapper hingegen das Lösegeld nehmen und das Opfer umbringen, dann werden die Verwandten des nächsten Opfers sicherlich nicht bezahlen.«
»Wie stehen die Chancen, ihnen vor Montag auf die Spur zu kommen?«
»Nicht gut, fürchte ich. Es sind ja nur noch vier Tage bis dahin.«
»Dann sollten wir lieber das Geld bereithalten, nicht wahr?« Sergius nickte, und Bruno wandte sich an Wrinfield: »Ich würde ein Jahr brauchen, um es Ihnen zurückzuzahlen, Sir.«
Wrinfield lächelte, aber es war kein vergnügtes Lächeln. »Ich würde das Geld jederzeit bezahlen, auch wenn keine Hoffnung bestünde, es jemals zurückzubekommen. Und zwar aus reinem Egoismus, denn die ›Blinden Adler‹ sind absolut einmalig.«
Sie schlenderten scheinbar ziellos eine Straße hinunter, die auf der Höhe des Beerdigungsunternehmens von der Weststraße abzweigte. Dr. Harper fragte: »Glauben Sie, daß wir verfolgt werden?«
»Ob man uns beobachtet, weiß ich nicht«, entgegnete Bruno, »aber verfolgt werden wir nicht.«
Nach zwei- oder dreihundert Metern ging die Straße in eine gewundene Landstraße über. Kurz darauf kamen sie zu einer Holzbrücke, die einen träge dahinfließenden, offensichtlich sehr tiefen Fluß überspannte. Sie war etwa neun Meter breit und an beiden Rändern vereist. Bruno untersuchte die Brücke und eilte dann hinter dem ungeduldigen Harper her, dessen Kreislauf nicht dazu geeignet war, mit solchen Temperaturen fertig zu werden.
Unmittelbar hinter der Brücke wurde die Straße von einem Kiefernwald verschluckt. Weniger als eine Viertelmeile weiter kamen die beiden Männer zu einer großen, halbkreisförmigen Lichtung.
»Hier«, sagte Dr. Harper, »wird der Hubschrauber landen.«
Als Bruno in seinem besten Straßenanzug in Wrinfields Büro erschien, dämmerte es bereits. Nur Wrinfield und Maria waren da.
»Sind Sie einverstanden, wenn ich meine Verlobte zu einem Kaffee einlade, Sir?«
Wrinfield nickte lächelnd, sah aber gleich darauf wieder besorgt und kummervoll drein. Bruno half Maria in ihren dicken Mantel, und dann gingen sie gemeinsam in den kalten Winterabend hinaus.
Maria sagte verstimmt: »Wir hätten auch in der Kantine oder in deinem Salon Kaffee trinken können. Hier draußen ist es scheußlich ungemütlich.«
»Wir sind noch nicht einmal verheiratet, und schon fängst du an zu meckern! Du mußt nur ganze zweihundert Meter weit gehen. Du wirst mit der Zeit schon noch merken, daß Bruno Wildermann für alles, was er tut, seine Gründe hat.«
»Zum Beispiel welche?«
»Erinnerst du dich an die beiden netten Menschen, die uns neulich am Abend so anhänglich gefolgt sind?«
»Ja.« Sie sah ihn erschrocken an. »Du meinst …«
»Nein. Sie haben eine Ruhepause bewilligt bekommen – Schnee ist weder gut für Dauerwellen noch für Glatzen. Der Knabe hinter uns ist etwa sechs Zentimeter kleiner als du, hat eine Stoffmütze auf dem Kopf und zerrissene, ausgebeulte Hosen und ausgelatschte Schuhe an. Eigentlich sieht er aus wie ein Penner, aber er ist keiner.«
Sie betraten ein Lokal, dessen gute Tage schon sehr lange vorbei sein mußten, denn es erinnerte nichts mehr daran. In diesem Land waren rauchgeschwängerte Luft und minimale Beleuchtung zwar anscheinend charakteristisch für die Lokale, aber dieses Etablissement übertraf alles. Die Augen brannten bereits, wenn man noch in der Tür stand, und die Beleuchtung war so ungenügend, daß selbst ein paar Kerzenstummel mehr Licht verbreitet hätten. Bruno schob Maria zu einem Ecktisch. Sie setzte sich und schaute sich angewidert um.
»So sieht also das Leben aus, wenn man mit dir verlobt ist.«
»Vielleicht wirst du diesen Tag später als einen der glücklichsten deines Lebens betrachten.« Er drehte sich um: Die chaplineske Gestalt hatte sich müde auf einen Stuhl fallen lassen, der in der Nähe der Tür stand, hielt eine zerfledderte Zeitung in der einen Hand und hatte den Kopf in die andere Hand gestützt. Bruno drehte sich wieder zu Maria um.
»Du mußt zugeben, daß dieses Lokal einen gewissen verlotterten Charme ausstrahlt.« Er legte einen Finger an die Lippen, beugte sich vor und schlug ihren Mantelkragen hoch: Tief in der Kragenfalte saß ein kleines, schimmerndes Metallgerät, nicht größer als eine Haselnuß. Er zeigte es ihr, und sie starrte ihn fassungslos an.
Er stand
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