Circus
anderen Seite der Nebenstraße kam ein Wachtposten mit einer Maschinenpistole über der Schulter angeschlurft, wobei ihn letztere aber nicht im geringsten zu interessieren schien. Wie die Wachtposten, die Bruno und Maria am Abend vorher beobachtet hatten, kam auch dieser mit gesenktem Kopf und offensichtlich völlig in Selbstmitleid vertieft daher. Bruno preßte den Lauf der Automatik noch tiefer in die Seite seines Begleiters. »Ein Laut, und du bist ein toter Mann.«
Es war deutlich an seiner Miene zu erkennen, daß diese Aussicht den Mann nicht sonderlich reizte. Er war vor Kälte und Furcht so starr, daß er den Eindruck erweckte, steifgefroren zu sein. Sobald der Wachtposten in die Hauptstraße eingebogen war – er machte nicht den Eindruck, als neige er dazu, sich ab und zu mißtrauisch umzusehen –, marschierte Bruno mit seinem Gefangenen auf die Reihe der geparkten Lastwagen zu. Als sie sie erreicht hatten, waren sie für niemanden mehr zu sehen, der sich auf der anderen Straßenseite befand.
Bruno stieß den Mann vor sich her in eine Lücke zwischen dem dritten und vierten Lastwagen und spähte vorsichtig an ihm vorbei: gerade bog ein zweiter Wachtposten um die Südostecke und kam die südliche Straße herauf. Bruno zog sich auf den Bürgersteig zurück. Er hatte keine Garantie dafür, daß sein Gefangener nicht plötzlich doch einen Schrei ausstieß, und außerdem war es jetzt besser, einen bewußtlosen Gefangenen zu haben, also wiederholte Bruno seinen Schlag von vorher, diesmal allerdings mit bedeutend mehr Wucht, und ließ den Mann zu Boden gleiten. Der Wachtposten ging ahnungslos auf der anderen Seite vorbei. Bruno warf sich seinen Gefangenen über eine Schulter und trug ihn auf die rückwärtigen Türen des Lastwagens zu. Als er ankam, öffnete sich sofort eine der Türen: Jemand im Inneren des Lastwagens hatte aufmerksam durch das Fenster geschaut. Kan Dahn hob den bewußtlosen Mann mühelos in den Laderaum. Bruno kletterte hinterher.
»Ist Roebuck unterwegs, um mir das kleine Spielzeug aus dem Zug zu holen und die Kassetten?«
»Unterwegs.« Kan Dahn sprang aus dem Laster, gefolgt von Manuelo, der sich hinter dem Ende des Wagens versteckte. Kan Dahn legte sich in die Mitte der Nebenstraße auf die Fahrbahn, zog eine Flasche Scotch aus einer Tasche, goß sich eine beträchtliche Menge über das Gesicht und die Schultern und lag dann, die Flasche festumklammernd und mit einem Arm über dem Gesicht, ganz still da.
Ein Posten bog um die Südostecke und sah Kan Dahn fast im gleichen Augenblick. Einen Moment lang stand er wie angewurzelt da, dann sah er sich ängstlich um, konnte nichts Verdächtiges entdecken und rannte auf den liegenden Mann zu. Als er näher kam, nahm er im Rennen seine Maschinenpistole von der Schulter und verlangsamte abrupt seine Gangart. Vorsichtig näherte er sich Kan Dahn. Der Lauf der gefährlichen Waffe zeigte genau auf Kan Dahns eindrucksvollen Brustkasten, und aus einer Entfernung von viereinhalb Metern konnte er es kaum schaffen, danebenzuschießen. Aber Manuelo traf auch aus einer Entfernung von siebeneinhalb Metern sicher wie immer: Der Griff des Messers traf den Wachtposten präzise zwischen die Augen. Kan Dahn fing ihn rücksichtsvollerweise auf und hatte ihn in fünf Sekunden im Lastwagen verstaut.
Nach weiteren zehn Sekunden hatte Manuelo sein Messer wieder und sich in sein Versteck zurückgezogen, während Kan Dahn sich wieder auf die Straße legte. Brunos Vertrauen in die Fähigkeiten der beiden war so groß, daß er es nicht für nötig hielt, die für die Wachen recht schmerzhaften Vorgänge zu beobachten, sondern sich ganz damit beschäftigte, die Gefangenen zu knebeln, zu fesseln und ihnen die Augen zu verbinden. Nach sechs Minuten waren fünf Männer an der Seitenwand des Lastwagens vertäut. Sie waren völlig hilflos. Drei von ihnen waren schon wieder bei Bewußtsein, aber sie waren so gut versorgt, daß es ihnen unmöglich war, ihre Situation auf irgendeine Weise zu ändern. Die Leute vom Circus sind unerreicht im Knüpfen von Knoten – ihr Leben hängt zu oft davon ab, als daß sie es sich leisten könnten, dabei schlampig zu sein.
Die drei Männer verließen den Lastwagen. Kan Dahn hatte ein Paar Segeltuchschuhe in seiner Tasche und ein massives Brecheisen in der Hand. Bruno hatte eine Taschenlampe in der Hand, drei zusammengebundene Stäbe über der Schulter und ein in Polyäthylen gewickeltes Paket in der Tasche, Manuelo hatte außer einer
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