Circus
Kollektion verschiedener Wurfmesser eine furchteinflößend aussehende und dick isolierte Drahtschere dabei. Das Amatol hatte Bruno im Lastwagen gelassen.
Sie gingen auf der kleinen Straße nach Osten. Gelegentlich kam der Mond durch, und dann waren sie deutlich zu sehen. Aber sie hatten keine andere Wahl, als so selbstverständlich wie möglich weiterzugehen – obwohl es fraglich war, ob ein aufmerksamer Beobachter den Anblick einer Brechstange und einer Drahtschere als selbstverständlich betrachtet hätte. Als sie das Elektrizitätswerk erreicht hatten, das etwa dreihundert Meter von dem Gefängnisblock der ›Lubylan‹ entfernt lag, war der Mond hinter einer Wolke verschwunden. Es waren weder Wachen zu sehen noch zu hören, und die einzige Sicherheitsmaßnahme schien ein schweres Stahlnetz zu sein, das an fünf Meter hohen Stahlrohren befestigt und oben großzügig mit Stacheldraht umwickelt war. Bruno nahm Kan Dahn die Brechstange aus der Hand, drückte sie mit einem Ende fest in die Erde und ließ das andere Ende gegen das Netz fallen, wobei er gleichzeitig vorsichtigerweise zwei Schritte zurücktrat. Es gab kein pyrotechnisches Schauspiel und keinen blendenden Funkenregen: Der Zaun stand nicht unter Spannung, aber das hatte Bruno eigentlich auch nicht angenommen: Nur ein Wahnsinniger würde einen Zaun, der ebenerdig verlief, mit zweitausend Volt laden, aber schließlich hatte Bruno keine Garantie dafür, daß er es hier nicht mit Wahnsinnigen zu tun hatte.
Manuelo schnitt ein Loch in das Netz. Bruno nahm seinen roten Kugelschreiber aus der Brusttasche und drückte nachdenklich auf den Knopf am Ende. Kan Dahn sah ihn neugierig an: »Ich glaube, jetzt ist es ein bißchen spät, ein Testament zu verfassen.«
»Das Ding ist ein Spielzeug, das Dr. Harper mir gegeben hat. Es ist mit Betäubungspatronen geladen.«
Einer nach dem anderen bückten sie sich und krochen durch das Loch im Zaun. Als sie fünf Schritte gegangen waren, entdeckten sie, daß das Fehlen von menschlichen Wachtposten durch die Anwesenheit von Hunden wieder wettgemacht wurde: Drei Dobermannpinscher kamen aus der Dunkelheit auf sie zu. Manuelos Messer zischte durch die Luft, und der vorderste Hund starb noch im Sprung – das Messer war genau an der richtigen Stelle in seine Kehle gefahren. Das Tier, das nach Kan Dahns Kehle schnappte, büßte diese Kühnheit ebenfalls mit seinem Leben: Kan Dahns eiserner Griff brach ihm augenblicklich die Wirbelsäule. Der dritte Hund schaffte es, Bruno zu Boden zu werfen, aber da hatte er bereits eine Patrone in der Brust. Das Tier fiel schwer zu Boden, rollte sich auf die Seite und blieb still liegen.
Sie gingen weiter zum Elektrizitätswerk. Die Tür war aus Metall und abgesperrt. Bruno legte ein Ohr daran und trat rasch einen Schritt zurück: Selbst hier draußen war das Heulen der auf hoher Geschwindigkeit laufenden Turbinen und Generatoren mehr als deutlich zu hören. Links von der Tür war in etwa drei Meter Höhe ein vergittertes Fenster in die Mauer eingelassen. Bruno warf Kan Dahn einen Blick zu, worauf dieser sich bückte, Bruno bei den Knöcheln faßte und ihn ohne jede Anstrengung hochhob. Bis auf einen Mann, der in einer verglasten Kontrollkabine saß, war das E-Werk menschenleer. Der Mann hatte etwas auf dem Kopf, das Bruno zunächst für Kopfhörer hielt, in Wirklichkeit waren es jedoch Ohrenschützer, die den dort unerträglichen Lärm von seinen Ohren fernhielten. Bruno kehrte auf festen Boden zurück.
»Die Tür, bitte, Kan Dahn. Nein, nicht da. Auf der Seite, auf der die Klinke ist.«
»Die Konstrukteure von Türen machen doch immer wieder den gleichen Fehler: Nie sind die Scharniere so robust wie die Riegel.« Er setzte das abgeflachte Ende des Brecheisens zwischen der Tür und der Mauer an und hatte die Tür innerhalb von zehn Sekunden demontiert. Nach einem leicht gequälten Blick auf die verbogene Brechstange bog er sie wieder gerade, als sei sie aus Knetgummi.
Nach zwanzig Sekunden erreichten sie die Tür der Kontrollkabine. Der diensthabende Ingenieur, der Reihen von Unterbrechern und Meßgeräten vor sich hatte, saß nur etwa zweieinhalb Meter von ihnen entfernt und hatte keine Ahnung von ihrer Anwesenheit. Bruno drückte die Türklinke herunter: Auch diese Tür war abgeschlossen. Bruno sah seine beiden Begleiter an. Beide nickten. Mit einem einzigen Hieb seiner Brechstange schlug Kan Dahn den größten Teil der dicken Glasscheibe aus dem Türrahmen, und dieses Geräusch
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