Circus
als liefe jemand über mein Grab.«
»Die Leute haben heutzutage einfach keine Manieren mehr«, klagte Bruno. »Sag ihm, er soll gefälligst verschwinden.«
Ohne ihn noch einmal anzusehen oder etwas zu sagen, gab sie Gas. Er blieb stehen und sah ihr nach, bis sie verschwunden war.
Bruno lag in seinem Hotelzimmer auf dem Bett, als das Telefon klingelte. Der Mann von der Vermittlung fragte, ob er Herr Neuhaus sei, und als Bruno dies bejahte, stellte er das Gespräch durch. Es war Maria.
»Tanya«, sagte er. »Was für eine hübsche Überraschung.«
Es folgte eine kleine Pause, in der sie sich offensichtlich an ihren neuen Namen gewöhnte, dann sagte sie: »Du hattest ganz recht. Unser Freund hat zugegeben, daß er für das verantwortlich war, was heute mittag passiert ist.«
»Jon Neuhaus hat eben immer recht. Also dann bis zum verabredeten Zeitpunkt.«
Um sechs Uhr abends war es bereits vollkommen dunkel. Die Temperatur lag weit unter dem Gefrierpunkt, ein leichter Wind wehte, und Wolkenfetzen schoben sich ab und zu vor den Dreiviertelmond. Der größte Teil des Himmels war jedoch wolkenlos und mit flimmernden Sternen übersät.
Der Parkplatz vor der Fernfahrerkneipe drei Meilen südlich der Stadt war fast voll besetzt. Aus dem einstöckigen Gebäude drangen helles Licht und laute Plattenmusik nach draußen. Es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Ein Fahrer, ein Mann in mittleren Jahren, kam aus dem Lokal und stieg in sein Fahrzeug, ein großer, leerer Möbelwagen mit zwei rückwärtigen Türen und Sicherheitslatten an beiden Seiten. Zwischen dem Fahrersitz und dem Laderaum gab es keine Trennwand. Der Fahrer drehte den Zündschlüssel um, der Motor erwachte stotternd zum Leben, aber bevor der Mann Bremse, Kupplung oder Schalthebel erreichen konnte, sank er bewußtlos vornüber auf das Lenkrad. Ein Paar riesige Hände griffen unter seine Arme, hoben ihn von seinem Sitz, als sei er eine Puppe, und ließen ihn sanft auf den Boden des Laderaums gleiten.
Manuelo verschloß den Mund des unglücklichen Fahrers mit Klebeband und machte sich dann daran, ihm die Augen zu verbinden. »Ich bin ausgesprochen bekümmert, daß wir gezwungen sind, einen unschuldigen Bürger dieser Stadt so zu behandeln.«
»Ich bin ganz deiner Meinung.« Kan Dahn schüttelte traurig den Kopf und zog den letzten Knoten der Handfesseln ihres Opfers noch einmal fest an. Und dann meinte er hoffnungsvoll: »Vielleicht ist er aber auch gar kein unschuldiger Bürger?«
Ron Roebuck war damit beschäftigt, die Füße des Fahrers an eine der Sicherheitslatten zu binden und offensichtlich nicht der Ansicht, daß die Situation einen Kommentar erforderte. Auf dem Boden des Laderaums lagen Lassos, Wäscheleinen, dicke Schnüre und ein langes Nylonseil, in das jemand alle sechsunddreißig Zentimeter einen Knoten gemacht hatte.
Um Viertel nach sechs verließ Bruno, angetan mit dem, was er insgeheim als sein Pierrot-Kostüm bezeichnete, und dem Pseudo-Chinchilla, das Hotel. Er bewegte sich mit der Geschwindigkeit eines Mannes, für den Zeit keine große Bedeutung hat. In Wahrheit wollte er aber nur vermeiden, das Knallquecksilber zu irritieren, das in sechs Kapseln an seinem Gürtel befestigt war, der von dem voluminösen Mantel vollkommen verborgen wurde.
Gemächlich schlenderte er vor sich hin, verbrachte eine beträchtliche Zeit damit, Schaufenster zu betrachten, wobei er auch die Seitenfenster an den Eingängen der Geschäfte nicht außer acht ließ. Schließlich bog er um die Ecke, beschleunigte seine Schritte für eine kurze Strecke und verschwand dann in einem tiefliegenden Hauseingang. Gleich darauf kam ein Mann im dunklen Regenmantel um dieselbe Ecke, zögerte einen Augenblick, hastete dann los, kam an der Stelle vorbei, an der Bruno wartete, und brach lautlos in die Knie, als Brunos rechte Hand ihn unter dem rechten Ohr traf. Bruno fing ihn auf, hielt ihn mit einer Hand aufrecht, durchsuchte mit der anderen schnell seine Taschen und brachte eine stumpfnasige Automatik zum Vorschein. Der Sicherheitshebel klickte.
»Los, gehen wir«, sagte Bruno.
Der erbeutete Möbelwagen stand als letzter von fünf geparkten Lastwagen in der Straße, die an der Südseite der ›Lubylan‹ entlangführte. Bruno sah ihn sofort, als er – anscheinend freundschaftlich Arm in Arm mit seinem ehemaligen Schatten – an der Kreuzung der Hauptstraße und der südlichen Nebenstraße stehenblieb. Bruno hatte es für klug gehalten, stehenzubleiben, denn auf der
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