Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Titel: Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Skelton
Vom Netzwerk:
Tisch in der Nähe und rief nach seinen Dienern. »Mr Metcalfe, Mr Taylor, seien Sie so gut und schließen Sie die Vorhänge!«
    Augenblicklich kamen die beiden Diener, die unauffällig im Hintergrund gewartet hatten, herangeeilt, stiegen auf rings um den Raum stehende Leitern, lösten eine schwarze Stoffbahn nach der anderen aus ihren Halterungen und ließen sie wie gigantische Fledermausflügel vor die Fenster gleiten. Das Observatorium lag nun in absoluter Dunkelheit.
    Pandora bewegte sich nicht. Was würde jetzt passieren? Sie zog hörbar den Atem ein, als direkt vor ihr auf dem runden Tisch allmählich eine sonderbare Erscheinung aufleuchtete. Ein geisterhaftes Bild der Stadt wurde sichtbar, so verschwommen, dass es wie von grobkörnigen Lichtstrahlen hingeworfen schien.
    »Wie geht das?«, rief sie unwillkürlich, sie vermutete eine Art Zauber.
    »Optik«, sagte Mr Sidereal und steuerte seinen Stuhl neben sie. »Ich habe in ganz London meine Linsen. Auf dem Monument, rings um St Paul’s und natürlich auf den höchsten Dächern und Turmspitzen. Sie liefern mir Spiegelbilder, die ich von hier aus studiere. So kann ich in jede Straße, in jeden Winkel der Stadt sehen. Nichts entgeht meinem Auge.«
    Er gab Pandora eine besondere Brille, an der seitlich verschiedene Linsen herausragten.
    Pandora setzte sie auf und bemerkte verblüfft, wie auf dem Tisch zwischen dem Gewirr von Turmspitzen und Häusern Gestalten auftauchten. Winzige Wagen rumpelten durch die geschäftigen Straßen, in denen winzige Leute ihrer Arbeit nachgingen. Ihr war, als könnte sie sie in die Hand nehmen, wenn sie nur den Arm ausstreckte.
    Die Gestalten waren verschwommen und unscharf, aber bei näherem Hinsehen mit unterschiedlichen Linsenkombinationen konnte sie auch Einzelheiten erkennen. An einer Straßenecke kehrte gerade ein Kurzwarenhändler mit dem Besen vor seiner Ladentür, an einer anderen Stelle streckte ein Mann die Hand bettelnd vor Passanten aus. Eine Bande Jungen flitzte vorbei, eine Schar Tauben stieg in die Luft und kreiste wie ein Mückenschwarm um die Häuser. Pandora fühlte sich hier oben wie ein Vogel, der über allem schwebte, der alles sah und selber unsichtbar blieb.
    Auch Mr Sidereal hatte eine Brille aufgesetzt und suchte nach einem Anzeichen des Jungen. Pandora betrachtete das Stadtbild sorgfältig. Könnte ich ihn bloß als Erste entdecken, dachte sie, vielleicht könnte ich die beiden irgendwie von ihm ablenken …
    Es war eine mühsame zeitaufwendige Arbeit. Langsam, Bezirk um Bezirk, Straße um Straße suchten sie nach dem verschwundenen Jungen, folgten gelegentlich auch einem Falschen durch das Straßengewirr. Immer wieder unterbrach Mr Sidereal, um seinen Dienern Anweisungen zu geben oder um den Tisch auf dem korkenzieherförmigen Standfuß höher oder tiefer zu stellen, was immer wieder andere Stadtteile ins Bild rückte.
    Es war drückend heiß, und Pandoras Augen wurden allmählich müde vom angestrengten Hinsehen auf das undeutliche Abbild. An allen Wänden des Raums waren kleine Glaskugeln, in denen Licht schimmerte.
    Mr Sidereal hatte ihren Blick bemerkt. »Elektrizität«, sagte er und deutete auf die Lichter. »Ich bezähme die Kraft des Blitzes und speichere seine Energie mithilfe meiner Konduktoren in speziellen Glasgefäßen. Diese elektrische Energie versorgt die Lampen, die du dort siehst.«
    Madame Orrery hatte sich unterdessen von einem Tablett in der Ecke einen Teller mit Erfrischungen genommen. Pandora konnte den exotischen Blätterschopf einer Ananas erkennen, der oben aus einer Obstschale ragte. Ihr Mund war trocken, und sie sehnte sich nach einer Pause, aber so schnell konnte sie ihren Posten nicht verlassen – nicht, wo vielleicht jeden Moment Cirrus Flux zu sehen sein könnte.
    »Zwanzig Grad Nord«, rief Mr Sidereal seinem Diener zu, der hoch über ihnen auf einer Leiter saß und ein gigantisches Gerät unter dem Dach drehte, anscheinend eine Winde.
    Pandora sah auf. Sie konnte gerade so eben ein Lichtpünktchen in der Finsternis erkennen – wahrscheinlich die Quelle der Erscheinung auf dem Tisch.
    Das Bild verrutschte, und ein neuer Ausschnitt kam in Sicht: ein Marktplatz voller Menschen. Sie bewegten sich ruckartig wie Tauben.
    Mr Sidereal unterbrach die Suche, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen und einen Schluck Sprudelwasser zu trinken.
    Pandora schaute unterdessen allein weiter. Eine Menschenmenge drängte sich um eine einsame Gestalt auf einem Podest am Pranger und

Weitere Kostenlose Bücher