Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab
geöffnet hatte und einen eisigen, bläulich weißen Hauch verströmte, der in Wellen über der Bühne schwebte. Ungeschickt fingerte er an den Kugelhälften herum, und nach einer Weile gelang es ihm, sie wieder zusammenzudrehen. Das Licht um ihn verblasste nach und nach, er seufzte erleichtert auf und erhob sich.
Alle waren still geworden. Micah starrte ihn ungläubig an, und Bottle Top sah mit aufgerissenen Augen vom Boden zu ihm auf. Er war von seiner Schaukel geschleudert worden!
»Hast du dir wehgetan?«, fragte Cirrus und lief zu ihm, weil er sah, dass Bottle Tops schöne Flügel beim Sturz zerknickt worden waren. Aber Bottle Top fuhr erschrocken zurück.
»Tut mir leid«, sagte Cirrus, der am ganzen Körper zitterte. »Ich weiß auch nicht, was passiert ist!«
Ratlos wandte er sich an Mr Leechcraft, doch der Mann schien genauso sprachlos wie alle andern. Nur Mr Sidereal wirkte nicht überrascht. Er blickte gespannt auf Cirrus’ Brust.
»Der Junge dort«, sagte er mit hoher näselnder Stimme. »Bringen Sie ihn her.«
Mr Leechcraft zeigte stumm auf Cirrus, der ängstlich herankam.
Mr Sidereal sah im fest in die Augen.
»Wie heißt du?«, fragte er lächelnd. Er streckte den Arm aus, um Cirrus’ Schulter zu tätscheln, aber Cirrus wich zurück.
»Er ist mein neuer Schwebender Junge«, erklärte Mr Leechcraft hastig, bevor Cirrus antworten konnte. »Ich war nur nicht sicher, ob es schon an der Zeit sei, ihn zu präsentieren.«
»Glauben Sie mir, es ist an der Zeit«, erwiderte Mr Sidereal. »Er muss unverzüglich der Akademie vorgeführt werden.«
Mr Leechcraft blinzelte.
»Der Akademie, Sir?«
»Aber gewiss! Dieser Junge steckt voller Äther! Sehen Sie das nicht? Die Akademie wird sich für dieses ungewöhnliche Kind sehr interessieren.«
Cirrus schaute über die Schulter zu Bottle Top hin, aber der schoss ihm nur einen zornigen Blick zu, und Cirrus richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den kleinen Mann. Der war nicht größer als ein Kind und saß in einem speziellen Stuhl mit Rädern, trotzdem strahlte er Autorität aus. Seine stechenden Augen waren immer noch auf Cirrus’ Brust gerichtet, als könnte er die Kugel unter seinem Hemd sehen. Ein mulmiges Gefühl machte sich in Cirrus’ Bauch breit.
Mr Leechcraft schien fassungslos. »Wann, ähem, wann haben Sie vor, ihn … ihn vorzuführen, Sir?«
»Nun, morgen, wenn möglich«, sagte Mr Sidereal und griff fest um die Armlehnen seines Stuhles. »Je eher, desto besser.«
Cirrus hatte das Gefühl, er würde auf der Stelle ohnmächtig werden; seine Gedanken drehten sich im Kreis, und sein Kopf schmerzte vom Schlag auf die Holzbretter.
»Morgen?«, sagte Mr Leechcraft. Cirrus hoffte, er würde ablehnen, aber das Gegenteil geschah. »Morgen passt mir gut, Sir«, sagte er zu Cirrus’ Bestürzung.
»Gut. Ich sorge dafür, dass alles vorbereitet ist. Die Mitglieder der Akademie werde ich umgehend informieren«, sagte Mr Sidereal und bewegte seinen Rollstuhl zum Ausgang.
Sofort rief Mr Leechcraft nach Micah und Bottle Top, die dem Herrn die Treppe hinunterhelfen sollten. Cirrus warf seinem Freund wieder einen erschrockenen Blick zu, aber Bottle Top stürmte an ihm vorbei, ohne ihn zu beachten.
Der gefallene Engel
Pandora stand im Park vor dem Haus der Wunder und sah am Museum hoch. Die brennenden Fackeln zu beiden Seiten des Haupteingangs tauchten die Mauern in ein unruhiges Licht, die Fenster jedoch waren dunkel und ließen keine Spur von Leben dahinter erkennen.
»Wo ist er? Was kann ihn so lange aufhalten?«, fragte sie, während sie auf den Kieswegen hin und her ging.
»Geduld, Pandora«, sagte eine Stimme hinter ihr.
Auf der Kante des großen Steinsockels saß – fast so reglos wie über ihm die Reiterstatue auf ihrem Pferd – Mr Hardy. Sein Fernglas war auf den Eingang gerichtet.
Sie hatten den ganzen Tag lang Mr Sidereal beobachtet. Während sich dunkle Wolken über der Stadt ballten und Donner über den Himmel rollte, hatten sie sich an der Straßenecke gegenüber seinem Observatorium postiert und darauf gewartet, dass er sie zu dem Jungen führen würde.
Endlich, als allmählich die Sonne unterging und den Himmel in rötlichen Dunst tauchte, hatte Mr Sidereal seine Residenz in einer golden schimmernden Kutsche verlassen – einer Kutsche, die von sechs weißen, mit Federbüscheln geschmückten Pferden gezogen wurde. Sofort hatte Mr Hardy in einer unauffälligen, eigens für diesen Zweck gemieteten Kutsche
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