Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab
leicht hin und her schaukelnd und umgeben von gebauschten Stoffwolken, die ihn, wie Cirrus vermutete, vor den Blicken der Zuschauer verbergen sollten. Pailletten funkelten wie Sterne auf dem Stoff.
Die anderen Jungen trafen letzte Vorbereitungen auf der Bühne. Sie rollten schwere graue zylindrische Gefäße, groß wie Milchkannen, über die Bretter und besprenkelten den Boden mit Gewürznelken und Orangenschalen, wahrscheinlich um den unangenehmen Geruch zu überdecken: den Geruch von verkohltem Fleisch.
Cirrus fuhr mit den Fingern über den kühlen glänzenden Geschützlauf, mit dem die Maschine verbunden war. »Wozu ist dieses Rohr eigentlich?«, fragte er Bottle Top und schaute beunruhigt zu seinem Freund hinauf. Schon allein der Anblick des an eine Guillotine erinnernden Gerüstes ließ sein Herz schneller schlagen.
Bottle Top wusste es anscheinend nicht genau. »Blitze erzeugen, glaube ich. Die werden dann auch noch durch meinen Körper gejagt.«
»Wirklich?«, fragte Cirrus. »Tut das weh?«
Bottle Top dachte nach. »Nicht richtig«, sagte er nach einer Pause. »Höchstens, bis man sich daran gewöhnt hat. Es fängt mit einem leichten Kribbeln an, dann wird es stärker und brennt. Weh tut es nur zum Schluss – dann ist es, als ob Millionen heißer Nadeln gleichzeitig in deine Haut stechen.«
Cirrus riss die Augen auf, aber Bottle Top beruhigte ihn mit seinem Lächeln. »Lohnt sich aber trotzdem. Schon wegen dem Geldstück hinterher.«
Cirrus sah sich vorsichtig um. »Und Micah?«, sagte er.
»Micah kriegt nicht immer, was er will«, antwortete Bottle Top und zwinkerte ihm zu.
Mr Leechcraft kam wieder auf die Bühne und klatschte in die Hände. »So, Jungs, die Kutschen kommen. Zeit, unsere Gäste zu begrüßen. Und bestes Benehmen, wenn ich bitten darf!«
Prompt griffen die anderen Jungen nach ihren Kerzen, gingen einer nach dem andern aus dem Raum und ließen Cirrus und Bottle Top allein im Dunkeln zurück. Cirrus hörte Bottle Top hin und her schaukeln, seine Flügel flatterten sachte in der Luft. Er fand ein Versteck hinter der Bühne, wo er sich hinsetzte und wartete.
Kurz darauf kamen die Zuschauer und nahmen ihre Plätze ein.
Cirrus, im Schatten verborgen, studierte ihre Gesichter. Da gab es elegante Schönheiten mit Schleifen im Haar, alte Frauen mit Juwelenketten am faltigen Hals und steife langweilige Herren, die Tabak schnupften. Eine aufregende Geruchsmischung aus Parfüm und Schweiß durchdrang allmählich die Luft.
Mr Leechcraft kam hinter den Zuschauern die Treppe herunter und betrat die Bühne.
»Geschätzte, hoch verehrte Gäste«, sagte er und begrüßte das Publikum mit einer tiefen Verbeugung. »Es ist mir ein großes Vergnügen, Sie in meiner bescheidenen Einrichtung, dem Haus der Wunder, begrüßen zu dürfen.«
Eine oder zwei der Damen gähnten, jemand hustete, Fächer raschelten, gedämpfter Applaus war zu hören. Mr Leechcraft schien jedoch unbeirrt.
»Äther«, sagte er und ließ das Wort wie eine Rauchwolke in der Luft hängen. »Äther bindet die Dinge aneinander, hält alles an Ort und Stelle. Er ist unsichtbar, schwerelos. Und, so wie er Adam Leben eingehaucht hat, kann er noch bedeutend mehr. Manche halten ihn für den Schlüssel des Lebens, andere für die innerste Substanz der Seele …«
Von seinem Aussichtspunkt hinter der Bühne konnte Cirrus sehen, wie Micah, Daniel, Ezekiel und Job – rund um die letzte Reihe verteilt – ihre Plätze einnahmen und sich auf besonderen thronartigen Sesseln festschnallten. Einer nach dem andern löschte seine Kerze und setzte sich eine Art großer durchsichtiger Krone auf den Kopf.
Es wurde dunkel, eine geheimnisvolle Atmosphäre breitete sich im Raum aus.
Bald flackerten nur noch ein paar Lichter auf der Bühne neben Mr Leechcraft, der seine Stimme nun fast zu einem Flüstern gedämpft hatte.
»Meine Damen und Herren«, sagte er so leise, dass Cirrus und die übrigen Zuschauer sich vorbeugen mussten, um ihn zu verstehen. »Machen Sie sich darauf gefasst, dass Sie verblüfft sein werden! Sprachlos! Denn vor Ihren Augen werde ich mich heute Abend bemühen, das Unbekannte offenbar zu machen … und DUNKELHEIT SICHTBAR!«
Seine Stimme war zu einem Crescendo angeschwollen, und mit einer letzten theatralischen Geste löschte er die restlichen Kerzen auf der Bühne und ließ den Raum in absolute Finsternis versinken.
Und dann erschien an den Rändern des Zuschauerraumes ein unheimliches Glühen …
Jemand kreischte, ein
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