City of Lost Souls
warum Clarissa Morgenstern vor einer Strafe verschont bleibt: Nicht sie, sondern ihr Vater hat Raziel herbeigerufen.«
»Mein Mann hat auch noch einen anderen Engel heraufbeschworen«, sagte Jocelyn leise. »Den Engel Ithuriel. Er hat ihn viele Jahre gefangen gehalten.«
Beide Schwestern zögerten einen Moment, dann erwiderte Dolores: »Einen Engel einzuschließen, ist das kälteste aller Verbrechen. Der Rat würde dem niemals zustimmen. Und selbst wenn es euch gelingen würde, einen Engel herbeizurufen, so könntet ihr ihn niemals zwingen, eure Befehle auszuführen. Dafür existiert keine Beschwörungsformel. Ihr könnt keinen Engel dazu bringen, euch das Schwert des Erzengels zu überreichen; möglicherweise kann man einem Engel etwas mit Gewalt nehmen, doch es gibt kein größeres Verbrechen. Und es wäre besser, euer Jonathan stirbt, als dass ein Engel so entehrt wird.«
Als Isabelle, deren Wut von Minute zu Minute gestiegen war, dies hörte, explodierte sie förmlich: »Genau das ist das Problem mit euch – mit euch allen! Was auch immer man mit euch anstellt, um euch von Schattenjägern zu Eisernen Schwestern oder Stillen Brüdern zu machen, das Ganze raubt euch sämtliche Gefühle. Wir mögen zwar Engelsblut in uns haben, aber wir besitzen auch eine menschliche Seite. Ihr versteht einfach nicht, was Liebe ist oder was Menschen aus Liebe oder für ihre Familie tun … «
Die Flamme in Dolores’ orangegelben Augen flackerte hell auf. »Ich hatte einst eine Familie«, entgegnete sie. »Einen Mann und Kinder. Alle wurden von Dämonen ermordet. Ich habe alles verloren. Aber ich besaß schon immer handwerkliches Geschick, die Begabung, Dinge mit meinen Händen zu gestalten, also schloss ich mich den Eisernen Schwestern an. Den inneren Frieden, den ich hier empfinde, hätte ich sonst nirgendwo gefunden. Aus diesem Grund wählte ich den Namen Dolores, ›die Schmerzensreiche‹. Also unterstell uns nicht, wir wüssten nichts über Qualen oder menschliche Gefühle.«
»Ihr wisst überhaupt nichts«, fauchte Isabelle. »Ihr seid so hart und kalt wie Dämonenstein. Kein Wunder, dass ihr euch damit umgebt.«
»Ignis aurum probat – Gold prüft man im Feuer, Isabelle Lightwood«, entgegnete Cleophas.
»Ach, haltet doch den Mund!«, knurrte Isabelle. »Ihr habt uns echt geholfen, alle beide!« Damit machte sie auf dem Absatz kehrt und marschierte zurück, wobei sie den Klingen, die die Brücke in eine Todesfalle verwandelten, kaum Beachtung schenkte – ihr jahrelanges Training ermöglichte es ihr, mit traumwandlerischer Sicherheit zurück auf die andere Seite zu gelangen. Wütend stapfte sie weiter, und erst als sie das Tor passiert hatte, brach sie zusammen. Unter dem weiten grauen Himmel und zwischen Moos und Vulkangestein fiel sie auf die Knie und begann, stumm zu schluchzen, allerdings ohne jede Träne.
Eine gefühlte Ewigkeit später hörte sie leise Schritte. Dann kniete Jocelyn sich neben sie und nahm sie in die Arme – und seltsamerweise machte es Isabelle nichts aus. Obwohl sie Jocelyn nie besonders gemocht hatte, strahlte diese Umarmung etwas derart allumfassend Mütterliches aus, dass Isabelle sich an sie lehnte, fast gegen ihren eigenen Willen.
»Möchtest du wissen, was die Schwestern noch gesagt haben, nachdem du weg warst?«, fragte Jocelyn, als sich Isabelle etwas beruhigt hatte.
»Garantiert irgendwas in der Art, dass ich eine Schande für alle Schattenjäger bin, und so weiter und so fort … «
»Cleophas sagte wörtlich: Du würdest eine hervorragende Eiserne Schwester abgeben und falls du dich jemals dafür interessieren solltest, bräuchtest du ihnen nur Bescheid zu geben.« Jocelyn strich Isabelle sanft über das Haar.
Trotz allem brachte Isabelle ein ersticktes Lachen zustande. Dann schaute sie Jocelyn an. »Verrat es mir«, sagte sie.
Jocelyns Hand hielt in der Bewegung inne. »Was soll ich dir verraten?«
»Wer es war. Mit wem mein Vater eine Affäre hatte. Du verstehst das nicht: Jedes Mal, wenn ich eine Frau im Alter meiner Mutter sehe, frage ich mich, ob sie vielleicht diejenige war. Lukes Schwester. Die Konsulin. Du … «
Jocelyn seufzte. »Annamarie Highsmith. Sie starb während Valentins Angriff auf Alicante. Ich bezweifle, dass du sie je kennengelernt hast.«
Isabelle öffnete den Mund, schloss ihn dann aber wieder. Schließlich meinte sie: »Ich hatte noch nicht mal ihren Namen gehört.«
»Gut.« Vorsichtig schob Jocelyn eine von Isabelles Haarsträhnen wieder hinter
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