City - V3
auf.«
»Das war vor dreihundert Jahren«, sagte Webster. »Das Welt-Komitee hat sich damals nicht darum
gekümmert. Man hat wohl getan, was man konnte, aber man hat nichts Ernsthaftes dagegen
unternommen, daß einige Menschen abwanderten. Warum also dieses plötzliche Interesse?«
»Ich glaube, daß man erst jetzt die Zeit dafür gefunden hat«, meinte Grant.
Er betrachtete Webster, der entspannt vor dem Feuer saß.
Sein kraftvolles Gesicht wurde von den Schatten des Feuers umspielt.
Grant fischte seine Pfeife aus der Tasche und füllte sie mit Tabak.
»Die Volkszählung hat noch einen anderen Grund«, sagte Grant bedächtig. »Man hätte sie zwar
sowieso durchgeführt, weil man sie als Unterlage für ein abgerundetes Bild der Weltbevölkerung
braucht. Aber das ist nicht alles.«
»Die Mutanten?« fragte Webster.
»Ganz richtig«, nickte Grant. »Ich habe nicht erwartet, daß Sie es erraten würden.«
»Ich arbeite mit Mutanten«, erklärte Webster. »Mein ganzes Leben spielte sich in der Nähe von
Mutanten ab.«
»Seltsame Tendenzen sind in unserer Kultur aufgetaucht«, berichtete Grant. »Dinge, für die es
keinen Präzedenzfall gibt. Literarische Ausdrucksformen, die eindeutig eine neue Richtung
erkennen lassen. Musik, die sich völlig von aller Tradition gelöst hat. Malerei, wie man sie nie
vorher kannte. Und das meiste davon erscheint anonym oder hinter einem Pseudonym
versteckt.«
Webster lachte. »Diese Dinge sind natürlich ein absolutes Mysterium für das Welt-Komitee.«
»Es handelt sich nicht allein um diese Dinge«, erläuterte Grant. »Das Komitee ist nicht so sehr
an Literatur und Kunst interessiert wie vielmehr an anderen Dingen - an Dingen, die nicht so
offen in Erscheinung treten. Wenn sich insgeheim eine Renaissance anbahnt, wird sie sich
natürlich zuerst auf den Gebieten der Kunst und Literatur bemerkbar machen. Aber eine Renaissance
beschränkt sich nicht ausschließlich darauf.«
Webster sank tiefer in seinen Stuhl und stützte das Kinn in seine Hände. »Ich sehe schon, worauf
Sie hinaus wollen«, bemerkte er.
Lange saßen sie schweigend, nur das Knistern des Feuers und das Rauschen des Herbstwindes in den
Bäumen war zu hören.
»Es hat einmal eine Gelegenheit gegeben«, sagte Webster mehr zu sich selbst. »Eine Gelegenheit,
neue Gesichtspunkte zu gewinnen, zu einer Erkenntnis zu gelangen, die unsere verworrenen
Ansichten der letzten viertausend Jahre hätte ablösen können. Ein einzelner Mann hat versäumt,
diese Gelegenheit wahrzunehmen.«
Grant bewegte sich unsicher, dann saß er steif und hoffte, daß Webster seine Bewegung nicht
bemerkte.
»Dieser Mann war mein Großvater«, ergänzte Webster.
Grant fühlte, daß er etwas sagen mußte, daß er nicht einfach schweigend dasitzen konnte.
»Juwain kann sich geirrt haben«, sagte er. »Vielleicht besaß er gar keine völlig neue
Philosophie.«
»Mit diesem Gedanken haben wir uns schon immer getröstet«, erklärte Webster. »Aber es ist
unwahrscheinlich. Juwain war ein großer Philosoph, vielleicht der größte, den Mars jemals
hervorbrachte. Ich habe keinen Zweifel, daß er seine neue Philosophie weiterentwickelt hätte,
wäre er am Leben geblieben. Aber er blieb nicht am Leben. Er mußte sterben, weil mein Großvater
nicht zum Mars gelangen konnte.«
»Das war nicht die Schuld Ihres Großvaters«, sagte Grant. »Er hat es versucht, aber Agoraphobia
ist eine Krankheit, gegen die kein Kraut gewachsen ist.«
Webster winkte ab. »Das ist jetzt vorbei. Wir können es nicht mehr ändern. Wir müssen die Dinge
so nehmen, wie sie sind und von hier an aufbauen. Und da es meine Familie war, da es mein
Großvater -«
Grant fuhr hoch, erschüttert von dem Gedanken, der plötzlich in ihm aufkeimte. »Die Hunde! Darum
-«
»Ganz richtig, die Hunde«, bestätigte Webster.
Weither vom Flußbett kam ein weinerlicher Ton, der sich mit dem Rauschen des Windes im den Bäumen
vermengte.
»Ein Waschbär«, bemerkte Webster. »Die Hunde werden ihn hören und hinauswollen.«
Der Schrei ertönte wieder näher diesmal, wie es schien, aber das mochte Einbildung sein.
Webster hatte sich in seinem Sessel aufgerichtet, lehnte sich vor und starrte in die
Flammen.
»Warum sollten sie auch nicht hinauswollen?« fragte er. »Ein Hund hat eine eigene Persönlichkeit.
Man merkt das jedesmal, wenn man mit ihnen in Berührung kommt. Keine zwei gleichen sich in Laune
und Temperament. Alle sind sie intelligent, abgestuft nach verschiedenen
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