Clancy, Tom
Verlust
ihres Rückgrats. Die meisten von ihnen waren nicht alt genug, um schon in
Vietnam gedient zu haben. Sie hatten nicht zuschauen müssen, wie Freunde oder
Klassenkameraden durch politische Fehlentscheidungen ums Leben kamen. Diese
Lehren waren den Offizieren der älteren Generation noch erteilt worden, aber
dann im Verlauf dessen, was man »Fortschritt« nannte, verloren gegangen. Dass
Kealty zwei vollständige Divisionen der Leichten Infanterie einfach aufgelöst
hatte und kurz darauf in einen Konflikt geschlittert war, der geradezu nach
leichten Infanterieformationen schrie, war auch so etwas, das die Medien
großmütig übersehen oder fast völlig ignoriert hatten. Außerdem machten Panzer
eben auf den Fotos sehr viel mehr her.
»Das muss
man dir lassen, Tony: Du hast immer auf Ratschläge gehört«, sagte Ryan.
»Es ist
doch immer nützlich zu wissen, was man nicht weiß. Ich bin ein guter Ingenieur,
aber ich weiß längst nicht alles. Der Bursche, der mein altes Büro übernommen
hat, liegt gelegentlich daneben, aber trotzdem kommen ihm nie irgendwelche
Zweifel.« Damit hatte der frühere Minister Bretano mit einem Satz den gefährlichsten
Mann auf dem Planeten beschrieben. »Jack, ich muss dir jetzt offen sagen, dass
ich nicht zurückkomme. Meine Frau ist schwer krank - sie hat Brustkrebs. Wir
hoffen, dass er früh genug entdeckt wurde, aber die Jury ist noch nicht von der
Beratung zurückgekommen ...«
»Welcher
Arzt behandelt sie?«, fragte Ryan.
»Charlie
Dean. Universität Kalifornien. Er soll ziemlich gut sein, sagt man.«
»Ich
wünsche dir viel Glück, mein Freund. Wenn Cathy irgendwie helfen kann, lass es
uns wissen, okay?« Ryan hatte seine Frau im Lauf der Jahre immer wieder als
Beraterin in medizinischen Fragen angeboten, denn im Gegensatz zu anderen
Politikern war er nicht überzeugt, dass jeder Mensch, der einen Dr. med. im
Namen führte, zwangsläufig auch ein guter Arzt sein müsse, jedenfalls nicht,
was die Behandlungsmethoden anging.
»Wir
werden dran denken, danke.« Die Nachricht wirkte ernüchternd auf die Runde.
Valerie Bretano, eine lebhafte Mutter von drei Kindern, war bei allen sehr beliebt.
»Was ist
mit der Ankündigung?«, fragte van Damm schließlich.
»Tja, das
werde ich wohl tun müssen, nicht wahr?«
»Sofern du
die Kampagne nicht heimlich führen willst. Wäre dann allerdings ziemlich
schwer, den Sieg zu erringen«, bemerkte van Damm trocken. »Soll ich Callie
Weston bitten, die Rede für dich zu entwerfen?«
»Sie kann
gut mit Worten umgehen«, räumte Ryan ein. »Wann muss ich das machen?«
»Je eher,
desto besser. Am besten fangen wir damit an, dass wir die Themenbereiche
eingrenzen.«
»Ich
stimme zu«, meinte Winston. »Kealty hat keine Ahnung, dass man auch oberhalb
der Gürtellinie gute Treffer landen kann. Schleppst du irgendwas mit dir herum,
Jack?«
»Nicht
dass ich wüsste - und das heißt nicht, dass ich mich an nichts Derartiges
erinnern kann. Wenn ich jemals gegen Gesetze verstoßen haben sollte, müssen sie
es beweisen, nicht nur mir, sondern auch den Geschworenen.«
»Gut, das
zu hören«, bemerkte Winston. »Ich glaube dir, Jack, aber denke immer dran, dass
in Washington jede Menge Advokaten des Teufels herumlaufen.«
»Was ist
mit Kealty? Hat er irgendwelche schmutzige Wäsche im Schrank?«
»Eine
ganze Menge«, antwortete Arnie. »Aber diese Waffe darfst du nur mit größter
Vorsicht benutzen. Denke immer daran, er hat das Ohr der Presse. Sofern du
nicht ein Videoband präsentieren kannst, werden sie die Sache einem
unerbittlichen Wahrheitstest unterziehen. Sie könnten sogar versuchen, die
Sache umzukehren und auf dich zurückzuballern. Ich kann dir dabei ein wenig
helfen. Es ist besser, wenn du die gezielten Indiskretionen mir überlässt,
Jack. Je weniger du darüber weißt, desto besser.«
Nicht zum
ersten Mal fragte sich Ryan, warum van Damm ein so treuer Vasall war. Der Mann
war so tief im politischen System verwurzelt, dass er Dinge sagte und tat, die
Jack niemals richtig verstehen würde. In mancher Hinsicht war er, Jack, so
unschuldig wie ein neugeborenes Kind; Arnie van Damm musste dann als sein
Kindermädchen fungieren. Nützliche Leute, diese Kindermädchen.
Die Dieselmotoren tuckerten monoton, während das Landungsboot
zurück nach Westen fuhr. Vitali stand am Steuerrad, sah hin und wieder nach dem
Gyroskopkompass und schaute dem Wasser zu, wie es am Bug vorbei und die Seiten
entlangglitt. Kein anderes Schiff war in
Weitere Kostenlose Bücher