Clancy, Tom
keine Gedanken um die zwei Morde, die er begangen
hatte. Sie waren notwendig gewesen. Er hatte diesen Teil der Mission schon
akzeptiert, bevor er nach Russland gekommen war und das Boot des Ungläubigen
gechartert hatte. In der Rückschau war er ein bisschen erstaunt, dass er und
seine Freunde an Bord nichts getrunken hatten, aber man sollte ja Geschäft und
Vergnügen auseinanderhalten, und Geschäft und Alkohol auseinanderzuhalten war
wahrscheinlich noch klüger. Ob dieser Vitali mit seinen Freunden über seinen
Charterauftrag geplaudert hatte? Unmöglich zu sagen. Aber weil er weder Namen
noch Adresse von ihnen hatte und niemanden fotografiert hatte, hatten sie ja
keine Spuren zurückgelassen. Der Norden Russlands erinnerte ihn an alte Filme
aus dem Wilden Westen, und dort lief alles ein bisschen zu lässig für eine
ordentliche polizeiliche Ermittlung. Die Tatwaffen waren beseitigt, und damit,
so überlegte er, war eigentlich alles erledigt. Entschlossen klappte er seine
Sitzlehne zurück und ließ sich vom Alkohol in den Schlaf wiegen.
Um 01.00 Uhr Ortszeit landete die 747 in Berlin. Musa und die
anderen stiegen getrennt aus, brachten die Einreisekontrolle hinter sich -
wobei sie ihre niederländischen Pässe benutzten -, holten ihr Gepäck ab und
machten sich auf den Weg zum Taxistand. Der deutsche Taxifahrer in seinem
Mercedes verstand Englisch und brachte sie zu einer Adresse in der sogenannten
»Schüsselstadt«, einem Viertel, das nach dem Wald von Satellitenantennen auf
den Dächern benannt war. Mit den Schüsseln empfingen die überwiegend arabischen
Bewohner die Fernsehprogramme ihrer Heimatländer.
Sein
Gastgeber, dem ein Freund in Amsterdam Bescheid gesagt hatte, erwartete ihn
schon. Einmal Klopfen genügte. Nach einem Händedruck und einem Kuss ging Musa
weiter ins Wohnzimmer der kleinen Wohnung. Mustafa, der Gastgeber, hielt einen
Finger an die Lippen und dann an sein linkes Ohr. Er hielt es für möglich,
dass die Wohnung abgehört wurde. Nun, in einem ungläubigen Land musste man eben
vorsichtig sein. Mustafa schaltete den Fernseher ein, es lief die Wiederholung
einer Spielshow vom selben Tag.
»War deine
Mission erfolgreich?«, fragte Mustafa.
»Absolut.«
»Gut. Darf
ich dir etwas anbieten?«
»Wein?«,
fragte Musa. Mustafa ging in die Küche und brachte ein Glas weißen Rheinwein.
Musa nahm einen tiefen Schluck, dann zündete er sich eine Zigarette an. Es war
ein langer Tag gewesen, dazu noch die zwei Morde, die ihn aus einem Grund, den
er nicht nachvollziehen konnte, doch irgendwie beschäftigten. Aber nachdem er
den Rheinwein ausgetrunken und Mustafa die Schlafcouch ausgeklappt hatte,
konnte er doch ziemlich schnell einschlafen. Morgen ging es weiter nach Paris,
wo er auf die Bestätigung warten würde, dass sein Paket sicher eingetroffen
war. Dann würde er ihm folgen. In Dubai hatte er dann ein wenig Freizeit. Der
Ingenieur, der sich um das Paket kümmerte, war zuverlässig und fähig, er würde
ihn kaum überwachen müssen. Außerdem, dachte Musa, wie sollte er das auch
anfangen? Was mit dem Paket zu tun war, lag weit jenseits seiner Kompetenzen.
Es war ein seltsamer Name für eine Stadt, dachte Kersen
Kaseke: Der Ort, an dem Napoleon von Wellington seine letzte Niederlage
beigebracht worden war. Vielleicht eine passende Metapher für den gottgewollten
Untergang eines Tyrannen, der einen Großteil der Welt unterdrückt hatte.
Trotzdem war es - wie vieles in Amerika — eine Überraschung gewesen, hier
mitten im »Maisgürtel« einen solchen Ort zu finden. Die Menschen waren ziemlich
nett und hatten ihn freundlich aufgenommen, trotz seines merkwürdigen Namens
und ausländischen Akzents. Dass er es geschafft hatte, als Christ durchzugehen,
hatte dabei sicher eine Rolle gespielt: Er behauptete, der Adoptivsohn eines
lutherischen Missionarspaars zu sein, das vor zwei Jahren bei einem
Mörsergranatangriff bei Kuching ums Leben gekommen war. Zwar musste er sich
überwinden, um den Islam und den wahren Propheten zu verleugnen, aber die
Geschichte hatte auch die misstrauischsten Einwohner beruhigt. Die meisten
waren Arbeiter oder Bauern. Er hasste auch nicht diese Menschen, sondern ihre
Regierung, und es war zwar traurig, aber schon seit Jahrtausenden so, dass die
Bürger für die verfehlte und brutale Politik ihrer Staatenlenker büßen
mussten. Diese Menschen hier holte eben jetzt endlich ihr Schicksal ein. Das
Schicksal und der Wille Allahs. Außerdem, ermahnte er sich, war das,
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