Clancy, Tom
Überblick über
den Inhalt zu verschaffen, aber schon jetzt steht fest, dass die CD eine
Goldmine ist: Sie enthält nämlich OTPs, insgesamt 365 JPG-Dateien von
One-Time-Pads, also von Einmal Verschlüsselungen - jedes zeigt ein Raster von
jeweils neun mal neun Quadraten, die alphanumerisch gekennzeichnet und
verschlüsselt sind. Ich habe das nicht nachgerechnet, aber wir reden von
Millionen verschiedener Kombinationen.«
»365 Pads?
Bei einem Päd pro Tag reicht das für genau ein Jahr«, überlegte Hendley laut.
»Bitte sagen Sie mir, dass die Pads wenigstens datiert sind!«
Bell
lächelte. »Darauf können Sie Gift nehmen. Sie reichen fast zehn Monate zurück,
was bedeutet, dass wir noch ungefähr zwei Monate ihrer zukünftigen OTPs in der
Hand haben. Natürlich nur, wenn sie nicht den Stecker ziehen.«
»So machen
sie das also«, murmelte Jack.
»Wie
bitte?«, fragte Clark.
»Sie
verschlüsseln alles doppelt. Denn sie verwenden auch noch Steganografie, um die
OTPs in Bilder einzubetten, die sie dann ins Netz stellen. Die Empfänger laden
das Bild von der Website herunter, benutzen ein Programm, um die Stego-Schicht
zu entfernen, und schon haben sie ihr OTP des Tages. Danach ist es nur noch ein
Zahlenspiel: Man geht ins Forum einer URC-Website, sucht dort nach einer
alphanumerischen Kette, die ein paar Hundert Zahlen-Buchstaben-Kombinationen umfasst,
lässt sie über das OTP laufen, und schon hat man den Tagesbefehl vor sich
liegen.«
»Das
meiste davon kann ich nachvollziehen«, sagte Granger, »nur nicht die Sache mit
dem Forum. Ich glaube nicht, dass der URC seine Mitteilungen derart offen
hinausposaunen würde. Sie werden doch bestimmt sicherstellen wollen, dass die
Message nur einen oder ein paar ganz bestimmte Empfänger erreicht. Und wir sind
uns doch ganz sicher, dass sie keine E-Mails verwenden, oder?«
»Daran
zweifeln wir. Der E-Mail-Verkehr innerhalb des URC ist so gut wie tot.«
»Und was
ist mit webbasierten E-Mails?«, fragte Bell. »Google Mail, Yahoo!... Agong
Nayoan hatte doch einen Google-Account, stimmt's, John?«
»Ja, aber
die IT-Freaks haben den Account genau durchleuchtet. Da war nichts. Meine
Vermutung ist, wenn der URC für seinen regulären E-Mail-Verkehr Funkstille
angeordnet hat, dann hat er auch verboten, die webbasierten Konten zu
benutzen.«
»Und
deshalb brauchen sie einen Knotenpunkt oder irgendeine zentrale Stelle«, sagte
Hendley. »Eine Stelle, an der jeder Einzelne von ihnen täglich nachschauen
kann, ob eine Message vorliegt, die nur für ihn bestimmt ist.«
»Heilige
Scheiße!«, rief Jack. »Das ist es!« Er begann auf seinem Notebook zu tippen.
»Online-Datenspeicher.«
»Noch
mal?«, sagte Clark verblüfft.
»Es gibt
Websites, die Backup-Datenspeicherung anbieten. Nehmen wir mal an, du hast
eine ganze Sammlung von MP3-Songs aufgenommen und fürchtest nun, sie durch
Festplattenabsturz zu verlieren. Dann meldest du dich bei einer dieser Websites
an, lädst deine Dateien hoch und speicherst sie auf deren Server.«
»Gibt es
viele solcher Websites?«
»Hunderte.
Manche sind kostenpflichtig, aber die meisten sind kostenlos, solange es um
relativ wenig Speicherplatz geht - sagen wir mal, ungefähr bis zu einem
Gigabyte.«
»Wie viel
ist das?«
Jack
rechnete kurz nach. »Gehen wir von einem Standard-Worddokument aus, dann würde
ein Gigabyte ungefähr eine halbe Million Seiten ergeben.«
»Verdammt.«
»Eigentlich
eine wunderbare Sache. Gesetzt den Fall, irgendein URC-Typ in Tanger loggt sich
in eine der Websites ein und lädt mit einer Kombination von ein paar Hundert
Ziffern ein Textdokument hoch. Dann loggt sich ein anderer URC-Typ in Japan auf
der Website ein, lädt die Datei auf seinen PC herunter, löscht sie von der
Website, stellt die Zahlenreihe in das einmalverschlüsselte Päd mit der
Stego-Einbettung, das er sich von der URC-Website besorgt hat, und schon hat er
die Message im Klartext auf dem Bildschirm.«
»Und was
braucht man, um sich für so eine Website anzumelden?«, fragte Hendley.
»Bei
freien Angeboten nur eine E-Mail-Adresse, und die kriegt man heutzutage im
Dutzend kostenlos. Es gibt sogar Angebote im Internet für E-Mail-Adressen, die
sich nach einer Viertelstunde selbst zerstören.«
»Wozu
brüten wir eigentlich noch über Problemen der Anonymität?«, meinte Rick Bell
kopfschüttelnd. »Aber hört mal, ich kann das alles gut nachvollziehen. Die
Frage ist nur, was machen wir damit?«
Die
Konferenzraumtür ging auf, und Chavez kam
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