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Clancy, Tom

Clancy, Tom

Titel: Clancy, Tom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dead or Alive
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wobei es keine Rolle spielte, ob das Lösegeld gezahlt wurde oder
nicht. Es gab keine Ehre unter diesen Kidnappern. Nur brutalen Pragmatismus.
    Juri hatte
frühere KGB-Kollegen und Paramilitärs eingestellt, Letztere meist frühere
Spetsnaz-Kommandos, die ebenfalls »freigesetzt« worden waren. Sie eskortierten
die Kunden zu ihren Treffen und wieder zurück und stellten sicher, dass diese
das Land gesund und munter und mit allen Körperteilen wieder verlassen konnten.
Die Bezahlung war zwar gut, aber je mehr die Moskauer Wirtschaft, die
offizielle und die im Untergrund, aufblühte, desto höher stiegen auch die
Lebenshaltungskosten. Während also viele Kleinunternehmer wie Juri mehr Geld
verdienten, als sie je für möglich gehalten hätten, mussten sie gleichzeitig
mit ansehen, wie es sofort wieder in einem unberechenbaren Markt versickerte
oder für die verrückt hohen Lebenshaltungskosten draufging. Es war eine
traurige Ironie, so viel Geld zu verdienen, und dann zu erleben, dass der
Brotpreis im selben Maße in die Höhe schoss wie das eigene Einkommen.
    In den
späten Neunzigerjahren hatte Juri genug Geld gespart, um seinen drei Enkeln
eine Universitätsausbildung und einen guten Berufsstart zu ermöglichen, aber
nicht genug, um sich selbst in diesem idyllisch gelegenen Landhaus am
Schwarzen Meer zur Ruhe zu setzen, von dem er seit zwanzig Jahren träumte.
    Unmittelbar
vor und nach den Ereignissen vom 11. September boten sich ihm jedoch zuerst hin
und wieder, bald aber mit gewisser Regelmäßigkeit neue Chancen. An diesem
Morgen war Amerika aufgewacht und hatte eine neue Tatsache endgültig begriffen,
die der KGB und viele nicht westliche Geheimdienste bereits seit Langem
kannten: Islamische Fundamentalisten hatten Amerika und seinen Verbündeten den
Krieg erklärt. Zum Unglück der Vereinigten Staaten hatten sich diese
Fundamentalisten im letzten halben Jahrzehnt von den schlecht organisierten,
irrationalen Verrückten, als die sie in den westlichen Medien oft dargestellt
worden waren, zu hervorragend organisierten und gut ausgebildeten Soldaten mit
einem klaren Ziel gewandelt. Schlimmer noch: Sie hatten auch den Wert von
Geheimdienstnetzwerken, der Anwerbung geeigneter Agenten und von
Kommunikationssystemen erkannt, alles Dinge, deren Vorzüge traditionell nur
den nationalen Geheimdiensten zur Verfügung gestanden hatten.
    Trotz all
seiner Errungenschaften und Segnungen war Amerika der archetypische Riese, der
die Pfeile auf gespannten Bogen vor seiner Nase fröhlich ignorierte und nur
auf die sprichwörtlichen Kanonen am Horizont achtete, diese wenigen,
sporadischen kleinen 9/11-Vorläufer, die sich nicht einfach auf die hinteren
Seiten der New York Times verbannen
ließen und die man selbst in den viertelstündlichen Kurznachrichten von CNN und
MSNBC erwähnen musste. Die Historiker werden sich wohl bis in alle Ewigkeit
darüber streiten, ob die amerikanischen Geheimdienste die Vorbereitungen des
11. September nicht hätten mitbekommen können oder müssen. Ganz sicher hätte
ihnen jedoch die deutliche Eskalation auffallen müssen, die mit dem ersten
Bombenanschlag auf das World Trade Center im Jahr 1993 begann und dann zum
Anschlag auf die amerikanische Botschaft in Kenia im Jahr 1998 und den Angriff
auf die USS Cole im Jahr
2000 führte. Nur für die CIA waren dies isolierte Ereignisse. Für die
miteinander verbundenen Terrorzellen, die sie durchgeführt hatten, waren es
Schlachten in einem Krieg. Erst als sie den Vereinigten Staaten in Wort und Tat
laut den Krieg erklärt hatten, begannen die US-Geheimdienste zu begreifen, dass
diese Pfeile und Bogen auf keinen Fall ignoriert werden durften.
    Umso
schlimmer war es in dieser Lage, dass die US-Regierung und die CIA erst vor
Kurzem etwas aufgegeben hatte, das Juri für sich die »Golem-Mentalität« getauft
hatte. Er meinte damit die fast besessene Konzentration auf den Kopf des
gegnerischen Riesen, während man gleichzeitig dessen Finger und Zehen
ignorierte. Natürlich würde sich dies niemals wirklich ändern, wenn es um den
Staatsfeind Nummer eins, den Emir, ging, der nach Juris Ansicht inzwischen
sowohl absichtlich als auch durch den Gang der Ereignisse zu Amerikas Golem
geworden war. Nationen brauchten klar definierte Feinde, jemanden, auf den sie
mit dem Finger zeigen und dann »Achtung, Gefahr!« rufen konnten.
    Natürlich
konnte sich Juri über diese Entwicklung nicht beklagen. Wie so viele seiner
Landsleute hatte er von diesem Krieg profitiert,

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