Clancy, Tom
sein.
Natürlich gab es auch dazu Präzedenzfälle. Kurz vor dem 11. September ging die
Häufigkeit des standardmäßigen elektronischen Austausche im Al-Kaida-Netzwerk
dramatisch zurück, und das war auch beim japanischen Funkverkehr kurz vor dem
Überfall auf Pearl Harbor der Fall gewesen. Jack fühlte sich innerlich
gespalten; einerseits wollte er den Nachweis für die Hypothese erbringen,
andererseits hoffte er inbrünstig, dass die Hypothese falsch war.
Doch wie
konnte dann der Emir seine Botschaften verschicken? Kuriere waren die sicherste
Methode, wenn auch nicht die schnellste: die Mitteilung abfassen, auf Diskette
brennen und jemanden beauftragen, sie dem Empfänger nur persönlich zu
übergeben. Mit dem modernen Flugverkehr konnte der Bote in weniger als einem
Tag von Chicago nach Kalkutta gelangen, sofern ihn die Bordverpflegung nicht
umbrachte. Schließlich war der ganze Luftverkehr nur zu diesem Zweck
entstanden, oder nicht? Fast könnte man denken, er sei auch für die
Schurkenwelt erfunden worden und nicht nur für die Vorstandschefs von
Frederick's of Hollywood oder Dow Chemical.
Chicago
nach Kalkutta. Und was war, wenn sich der Emir bereits in Chicago aufhielt oder
in New York oder Miami? Was genau konnte ihn daran hindern, dort zu leben?
Nichts, absolut nichts. Die CIA und alle anderen vermuteten, dass er sich
irgendwo in den Stan-Ländern versteckte - Afghanistan oder Pakistan —, aber
warum? Nur weil dort sein letzter Aufenthaltsort gewesen war, den sie kannten.
Und nicht, weil sie konkrete Hinweise auf einen bestimmten Ort hatten, an dem
er sich jetzt aufhalten könnte. In Pakistan und Afghanistan stocherten gut die
Hälfte aller Spezialtruppen der Vereinigten Staaten in jeder Höhle und unter
jedem Busch herum, stellten endlose Fragen, warfen mit Geld um sich, und alles
nur, um einen Mann - oder eine Frau - zu finden, die vielleicht wussten, wo er
sich aufhalten könnte. Und trotzdem: nichts. Wie hoch waren die Chancen, ihn
auf diese Weise zu finden?, fragte sich Jack.
Ein Mann
wie der Emir würde sich nie sicher genug fühlen, jedenfalls nicht, solange
sämtliche Geheimdienste der Welt nach ihm suchten. Und selbst patriotische,
engagierte Geheimdienstoffiziere hatten ständig die hohe Belohnung vor Augen,
die Amerika auf seinen Kopf ausgesetzt hatte, und würden von einem netten Haus
an der Riviera und einem höchst angenehmen Ruhestand träumen dürfen, wenn sie
nur zum Telefon greifen und ein paar Informationen weitergeben brauchten.
Dem Emir
musste all das längst klar sein. Deshalb würde er die Zahl der Menschen
strengstens begrenzen, die seinen Aufenthaltsort kannten. Er würde diese Zahl
auf Menschen beschränken, denen er absolut vertrauen konnte, und er würde
seinerseits gut für sie sorgen. Er würde sogar bestens für sie sorgen. Geld,
alle Annehmlichkeiten, jeden Luxus, den die Umstände erlaubten. Er würde ihr
Verlangen immer weiter stimulieren, sein Vertrauen zu verdienen. Er würde ihren
Glauben an Allah und an ihn selbst stärken, würde geradezu ängstlich besorgt
um sie sein. Aber er würde auch seine Aura des Befehlshabers strengstens
wahren, denn die Quelle seiner Autorität lag immer in den direkten Beziehungen
von Mann zu Mann und war zugleich, wie alle wirklich wichtigen Dinge im Leben,
auch eine Sache der geistigen Haltung.
Was also
war zu tun, wollte man den Emir an einen außerhalb von Pakistan und Afghanistan
gelegenen Ort umsiedeln? Wie organisiert man so etwas, wenn es um den
meistgesuchten Mann der Welt geht?
Die
Hauptdatei der CIA über den Emir enthielt nur Fotos von mittelmäßiger Qualität,
manche waren sehr grobkörnig, andere waren digital verbessert worden, aber alle
waren an buchstäblich sämtliche Geheimdienste und Polizeikräfte auf der Welt
weitergegeben worden. Und an die Öffentlichkeit. Wenn Brad Pitt und Angelina
Jolie nicht mal zu einem Sunday-Brunch gehen konnten, ohne von den Medien
bedrängt zu werden, dann dürfte es auch dem Emir schwerfallen, außerhalb seines
normalen Reviers herumzureisen.
Der Emir
konnte zum Beispiel seine Größe nicht ändern, obwohl es technisch möglich war,
aber das würde eine größere und recht schmerzhafte Operation erfordern,
gefolgt von einer längeren Rehabilitationszeit, während der er zwangsläufig
mehrere Wochen das Bett hüten müsste — keine erfreuliche Vorstellung für einen
Mann auf der Flucht. Er könnte sein Gesicht, seine Hautfarbe, sein Haar
verändern lassen. Könnte gefärbte
Weitere Kostenlose Bücher