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Clara

Clara

Titel: Clara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koller
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durchströmten. Schließlich packte ich ihre Arme und
starrte sie an. Sie erwiderte meinen Blick. Neben all der Furcht las ich auch
so etwas wie Entschlossenheit. Sie schien bereit für die nächste Stufe. Doch
war ich es auch? Kurt Bergmanns Stimme erfüllte den ganzen Raum. Ich schrie sie
an.
    »Machen Sie
den Fernseher aus !« Dann ließ ich ihre Arme los. Sie
stellte ihn ab. Die plötzlich eintretende Stille wirkte unheimlich. Die Ruhe
nach dem Sturm. Ich setzte mich und beobachtete sie. Clara machte keinerlei
Anstalten, sich mit mir zu unterhalten. Schweigend nahm sie am Tisch Platz und
setzte ihr Abendessen fort. Stark, stur und stolz.
    Ich war
begeistert.
    »Ihre Eltern
machen das wirklich gut«, begann ich zu sprechen. »Ich meine, wie sie
gramgebeugt an meine Gefühle appellieren und so. Sollte ich etwa anrufen? Was
meinen Sie? Vielleicht springt ja ein Batzen Geld dabei heraus. Mit Geld ist
scheinbar alles zu regeln. Wir werden schon eine Lösung finden. Ja, ganz
Geschäftsmann, Ihr Herr Vater. Meine Frau war ihm nicht einmal einen Euro für
eine Beileidskarte wert. Aber wozu auch? Wo war da schon ein Profit zu
erwarten? Aber jetzt. Was sind schon ein paar Millionen im Tausch für das Leben
seiner ach so wertvollen Tochter? Ein solcher Kuhhandel ist schon eher nach
seinem Geschmack. Vor allem, wenn die Polizei im Hinterhalt lauert. Wie ist
Ihre Sozialversicherungsnummer ?« Clara hatte
inzwischen ihr Mahl beendet. Sie wusch den Teller und das Besteck ab. Leerte
das Schmutzwasser in den Ausguss am Boden. Sie reagierte nicht. »Soll ich Ihrem
Vater etwa eine Nachricht zukommen lassen? Ihre Tochter kooperiert nicht, also
kann ich Sie auch nicht anrufen. Wäre das in Ihrem Sinne ?« Schweigen. Clara widmete sich ihrer Abendtoilette. Ihre Ignoranz begann, mich
wütend zu machen. Doch ich wollte ihr das nicht zeigen. Also legte ich einen
bedacht ruhigen Ton in meine Stimme. »Nun kommen Sie schon. Reden Sie mit mir.
Wieder Freunde, okay?« Clara legte ein Buch auf ihr Bett. Dann ging sie auf
mich zu.
    »Wir sind
keine Freunde. Waren es nie und werden es auch niemals
sein. Sie sind ein grausamer, widerlicher Mensch. Sie spielen mit mir und haben
eine sadistische Freude daran, mich leiden zu sehen. Mich zu demütigen .« Diese Ehrlichkeit gefiel mir. Und ich respektierte das.
Die verlogene Fassade fiel. »Alles an Ihnen besteht aus Hass. Aus Abscheu vor
Ihren Mitmenschen. Ihr Leben ist nicht so gelaufen, wie Sie sich das erträumt
hatten. Und nun soll die ganze Welt dafür büßen. Doch die Welt ist nicht
interessiert an Ihnen. Also haben Sie sich mich geschnappt. Und ergötzen sich
nun daran. Wenn Sie wüssten, wie jämmerlich Sie sind .« Ich hatte mich bei dieser Analyse erschreckt. Denn sie entsprach den Tatsachen.
Clara war eine gute Psychologin. Sie schmetterte mir ihre Verachtung mitten ins
Gesicht. Genauso, wie ich es auch ihr gegenüber getan hatte. Ich klatschte ein
paar Mal betont langsam in die Hände.
    »Ja, Clara,
Sie haben es erfasst. Sie haben in diesen drei Wochen als mein Gast mehr
gelernt als in den fünfundzwanzig Jahren zuvor. Gelernt zu beobachten, Ihre
Empfindungen in die richtigen Bahnen zu lenken. Gelernt, aufrichtig zu sein.
Sie sind intelligent, und Sie haben Mut. Das sind wichtige Charakterzüge. Und
die werden Sie bestimmt noch brauchen. Denn es stehen uns harte Zeiten bevor.
Zeiten, die Tatkraft verlangen.« Clara hatte sich in der Zwischenzeit auf ihr
Bett niedergelassen. Ich ignorierte diese Unhöflichkeit. Stattdessen lenkte ich
das Gespräch in eine andere Richtung. »Was lesen Sie da ?«
    »Carson
McCullers. Das Herz ist ein einsamer Jäger«, erwiderte sie kurz. Ich kannte
dieses Buch sehr gut. Und es war vollständig. Die letzten Seiten entfernte ich
nur aus Kriminalgeschichten. Zur Anregung ihrer Phantasie. Bei diesem Roman war
das nicht nötig. Er spielte in den Südstaaten zur Zeit der
Weltwirtschaftskrise. Ein Gemälde der Gestrandeten einer niedergehenden
Gesellschaft. Er beschrieb auf zutiefst menschliche Weise die Hoffnung in einer
hoffnungslosen Welt. Dafür bewunderte ich die Autorin.
    »Wie gefällt
es Ihnen ?« , fragte ich interessiert. Clara hatte ihren
Oberkörper aufgerichtet, den Kopfpolster im Rücken.
    »Es ist ein
sehr trauriges Buch. Ich glaube, Sie finden sich in etlichen der beschriebenen
Personen wieder. Zumindest in zweien. Dem Betrunkenen und dem schwarzen Arzt.
Das sind die Wütendsten von allen. Und vielleicht
auch die Verrücktesten.« Ja, das war

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