Clara
Eine
Anklage um die andere. Mittlerweile hatte sie den Eindruck, ihr ganzes Leben
war eine einzige Anklage. Doch es war zu spät. Er hatte sie bereits in seinem
Kopf gespeichert. Also konnte er auch die Details erfahren. Nicht aber ohne jede
Gegenleistung. Quid pro quo.
»Ich habe
einiges über mich erzählt. Wie sieht es mit Ihnen aus? Wann erfahre ich etwas
mehr über Sie ?« Diese Frage überraschte ihn.
»Sie wollen
etwas über mich erfahren? Sie, die nur auf sich selbst fixiert sind?«
»Ja, ich!«
Clara trat selbstbewusst auf. » Quid pro quo.«
Michaels Gesicht entspannte sich. Er war wieder amüsiert.
»Meine liebe
Clara«, begann er. »Sie werden mir doch nicht etwa einen Aufstand machen? Aber
was soll’s. Es ist nur recht und billig, was Sie fordern. Also sollen Sie Ihren
Willen haben. Ich habe Zeit. Und Sie ja auch.« Er ließ seine Augen über den
gesamten Raum schweifen. »Zuerst aber zu Ihrem Vater.« Clara wusste nicht so
recht, wo sie da anfangen sollte. Michael ließ ihr Zeit. Dann nahm sie den Faden
auf.
»Nun, mein
Vater hatte an der Wirtschaftsuniversität studiert und nach dem Tod von Opa den
Betrieb übernommen. Damals war die Firma noch klein und überschaubar. Heute ist
Bergmann Marktführer in der Branche .« Clara sah ihn
kurz an. »Aber das wissen Sie ja vermutlich alles. Mein Vater ist immer sehr
fürsorglich zu mir gewesen. Leider hat die Firma ihn zeitlebens über Gebühr in
Anspruch genommen. Die wenigen Stunden, die er während meiner Kindheit oft nur
zur Verfügung hatte, verbrachte er mit mir. Wir spielten, lachten, machten
Unternehmungen. Er brachte mich abends oft zu Bett. Las mir kleine Geschichten
vor. Er liebte Familienfeste. Vor allem meine Geburtstage. Da war immer was
los. Von meiner Mutter hingegen entfremdete er sich. Er hat später oft über sie
gesprochen. Als ich so vierzehn oder fünfzehn war. Vor allem über die Zeiten,
als sie noch glücklich miteinander waren. Als sie noch nicht das Geld mit
vollen Händen rausgeworfen hatte, wie er stets zu sagen pflegte. Ich glaube,
der Niedergang der Beziehung zu ihr hat ihn sehr traurig gemacht. Auch heute
hat er es noch nicht verwunden. Nach so vielen Jahren.«
Clara
blickte ernst. Würde es ihrem Vater mit ihr genauso gehen? Michael unterbrach
diese Überlegung.
»Wie hat er
auf Ihren Gang in die Öffentlichkeit reagiert ?« Clara
überlegte.
»Er hat es
anfangs, glaube ich, gar nicht gemerkt. Denn Familien wie unsere haben stets
eine gewisse Aufmerksamkeit. Erst als ich öfters im Fernsehen war, hat er mich
angesprochen. Er hatte es von seiner Sekretärin erfahren. Selber liest er ja
nur den Wirtschaftsteil. Wir sind in Streit geraten.
Er hatte immer gewollt, dass ich nach der Schule weiterstudiere. Aber ich hatte
mich eben anders entschieden. Und so fehlte ihm ein Nachfolger. Ein Glamourgirl
kam dafür ja nicht infrage. Genau das waren seine Worte. Seither war unser
Verhältnis zunehmend abgekühlt. Ich glaube aber trotzdem, dass er mich noch
liebt. Genauso wie ich ihn.«
Michael
stand auf. »Ja, das tut er .« Er begab sich
kommentarlos zur Stahltür. Ohne jegliches Vorzeichen. Wie aus heiterem Himmel.
Clara versuchte, ihn aufzuhalten.
»Was ist mit
unserer Abmachung ?«
Michael
schüttelte den Kopf. »Heute nicht mehr. Ich bin müde. Bis morgen. Gute Nacht.«
Die Tür ging auf, und er verschwand. Warum war er plötzlich gegangen? Sie hätte
noch einiges zu erzählen gehabt. Wollte er sich etwa vor seinem Versprechen
drücken? Oder hatte sie an einem Punkt gerührt, der ihm unangenehm war? Was
hatte er noch gesagt? » Ja, das tut er . « War er darüber enttäuscht, dass
ihr Vater sie liebte? Ja, so musste es sein. Aber warum? Clara legte sich auf
ihr Bett. So viele Dinge waren gesagt worden. So viel, das es zu verarbeiten
gab. Was immer es ihr auch bringen mochte. Es war besser, als vor sich hin zu
starren.
Kapitel 7 –
Konfrontation
1
Ich brachte
die Tür gerade so noch zu, bevor ich zusammenbrach. Ich hatte mir das Gefühl
gestattet, sie als normales Individuum zu betrachten. Und was resultierte
daraus? Zweifel.
Minutenlang
harrte ich in dieser Stellung aus. Fand nicht die Energie, mich zu bewegen. Sah
Bilder vor mir, die niemals wieder verschwinden würden. Die mich als das
Scheusal brandmarkten, das ich offensichtlich war. Ich entzog einem liebenden,
verzweifelten Vater seine Tochter. Suhlte mich in ihrem Unglück.
Plötzlich
und unvermittelt waren die Schale, der Panzer aufgesprungen, mit
Weitere Kostenlose Bücher