Clara
denen ich mich
umgab. Der Panzer, der mich schützte, der mich unangreifbar machte. Ich musste
ihn wieder schließen. Nicht um meiner selbst, um ihretwillen. Damit ihr Tod
nicht vollends sinnlos war. Langsam kehrte ein Hauch von Kraft in meinen Körper
zurück, ich konnte mich wieder erheben und kletterte aus der Schleuse. Clara
hatte mich eingelullt. Ich konnte ihr das nicht weiter gestatten. Und doch zog
es mich im nächsten Moment schon wieder zu ihr runter. Wie der hypnotisierende
Ruf einer Sirene. Was konnte ich tun, um mich dem zu entziehen?
Ich schloss
die Hüttentür hinter mir ab und machte mich auf den Heimweg. Zitternd wie
Espenlaub. Ich hatte meine Mission infrage gestellt. Unsere Mission. Ich kam
mir wie ein Verräter vor. Wer war schon Clara Bergmann? Oder ihr Vater. Ein
leicht verschmerzbares Opfer. Woran hatte ich eben in der Schleuse gedacht?
Pest? Sie hatte mich verpestet? Da kam mir eine Idee.
2
Ich hatte
mein Versprechen gebrochen und Clara am nächsten Tag nicht aufgesucht. Warum
auch? Ich war ihr keinerlei Rechenschaft schuldig. Ich
hatte mich krankgemeldet und mich im Haus verkrochen, wo ich mich zurücklehnte
und mich in Rage trank. Verfeuerte sämtliches Material, das ich über Clara
gesammelt hatte. Löschte sie aus. Selbst die Festplatte meines Computers
landete im Ofen. Nichts sollte mehr auf Clara hinweisen. Es war nicht die
Furcht vor der Polizei, die mich dazu trieb. Nein, es war die Angst vor mir
selbst. Die Sucht nach Clara, die mich meiner Sinne beraubte. Je mehr ich damit
konfrontiert wurde, desto heftiger wurde dieses Verlangen. Ich trank, aß und
wartete aufs Wochenende. Mein Blut war in Wallung geraten. Je mehr ich ihr nach
außen hin die kalte Schulter zeigte. Wie ein Spiel unvernünftiger Teenager. Nur
war dieses Spiel gefährlich.
3
Die Sonne
war bereits untergegangen, als ich die Stahltür zu Claras Verlies öffnete. Ich
fühlte mich wieder besser. Souveräner. Jegliches Gefühl war ausgeblendet.
Jegliche Art von Sentimentalität war hier letztlich fehl am Platze. Der Weg war
vorgezeichnet. Clara saß gerade am Tisch und aß ihr Abendbrot. Sie hatte
inzwischen gelernt, die Fertiggerichte zu verfeinern. Not machte erfinderisch.
Ich sah das mit Wohlwollen. Sie entwickelte Fähigkeiten, die ich ihr nicht
zugetraut hatte. Sie war mutig, anpassungsfähig. Gar nicht das weinerliche,
hysterische Geschöpf, das ich insgeheim erwartete. Ja, sie war stark und
intelligent. Dennoch. Sie blieb, was sie war. Eine Bergmann. Stolz und unumstößlich. Ganz im Geiste ihres Vaters. Ich bewunderte
sie beinahe für diese Haltung. Denn sie zeigte letztendlich Charakter.
Charakter, den ich nie in ihr gesehen hatte, als sie noch strahlend über den
Bildschirm schwebte. Clara unterbrach ihr Mahl und wandte sich mir zu.
»Ich hatte
Sie früher erwartet. Was ist passiert? Ich habe Sie doch nicht etwa schon
wieder vor den Kopf gestoßen ?« Ich drückte meine Stirn
gegen die Gitterstäbe.
»Nein, das
war es nicht. Nur eine leichte Unpässlichkeit. Ich bin aber wieder okay. Danken
Sie Gott dafür .« Ich sah die Enttäuschung in Claras
Augen, die dieser letzte Satz hervorgerufen hatte. Ich hatte einen Entschluss
gefasst. Sie sollte leiden. Aber auf diffizilere Art, als es körperliche Pein
hervorzurufen vermochte. Ich würde Clara künftig härter anfassen. Mich
emotional von ihr distanzieren. Eine gemeinsame Nische unterbinden.
»Ich hoffe,
es war nichts Ernstes ?« , führte sie die Unterhaltung
fort. Höflich, artig, besorgt. Eine wahre Mustergefangene, die auf Amnestie
hoffte. Wieder dieses Netz. Ich würde ihr die Tour vermasseln müssen.
»Lassen wir
das«, sagte ich bestimmt. »Drehen Sie sich um und strecken Sie die Hände durchs
Gitter .« Sie zögerte und wollte offenbar einen Einwand
gegen dieses Gebaren vorbringen. Ich kam ihr zuvor.
»Tun Sie’s einfach.
Und hören Sie mit Ihrer ewigen Fragerei auf. Das nervt. Ich habe meine Gründe,
und das wird genügen .« Trotzig warf sie sich mit dem
Rücken gegen die Gitter. Sie hatte schon zu sehr Oberwasser bekommen. Nun, das
würde sich ändern. Durch ihre Passivität hatte ich einige Mühe, die
Handschellen anzubringen. Zum Dank für ihre Mithilfe zog ich sie deshalb
besonders fest. Sie wimmerte auf, beklagte sich jedoch nicht. Offensichtlich
hatte sie verstanden. Kluges Kind. Ich öffnete die Tür, ging zum Fernseher und
legte die mitgebrachte DVD ein. Claras Eltern erschienen am Bildschirm. Ich
drehte volle
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