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Clara

Clara

Titel: Clara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koller
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weg von allen anderen. Denn auch mich störte
dieses Wehklagen. Weil es mich viel zu sehr an mein eigenes erinnerte. Mein
Leben lief wie eine Endlosschleife ab. Tag für Tag. Stets im Würgegriff der
Tretmühle, die mich zermalmte. Aber ich hatte die Gleichgültigkeit
verinnerlicht. Gegenüber der Arbeit, gegenüber den Kollegen. Gegenüber meinem
eigenen erbärmlichen Dasein. Nur Clara sorgte für Abwechslung in dieser
Wüstenei. Doch auch Clara war mir letztlich gleichgültig. Wenngleich sie mich
berührte. Ganz in mir drinnen.

 
    3

 
    Clara aß zu
Mittag. Die Ratte hockte am Fernseher und starrte sie an. Sie gierte nach
Futter.
    »Ja, Jerry,
wenn ich fertig bin«, sprach sie die weiße Ratte an. Sie hatte ihr einen Namen
gegeben. Sich mit ihr arrangiert. Fütterte sie, putzte ihr nach. Im Gegenzug
blieb ihr die Ratte vom Leib. Eine stillschweigende Übereinkunft. Kam sie doch
einmal zu nahe, warf Clara irgendwelche leichteren Gegenstände nach ihr. Damit
demonstrierte sie, dass die Grenze überschritten war. Es verblüffte sie, wie
klug dieses Tier war. Wie schnell es diese Spielregeln verstanden hatte. Nur
seine nächtlichen Streifzüge blieben davon ausgenommen. Dann war es Herr der
Dunkelheit. Lediglich das Bett blieb tabu. Damit konnte Clara leben. Den
Gedanken, die Ratte vielleicht einzufangen, hatte sie wieder verworfen. Erstens
war kein geeignetes Behältnis zur Verfügung, und zweitens hätte sie es nicht
übers Herz gebracht. So sehr ihr dieses Tier auch zuwider war. Es tat ihr
nichts. Und dieses eine Gefängnis, in dem sie sich befanden, war schon klein
genug. Wieso es also weiter verengen? Clara wunderte sich selbst über diese
Einstellung. In ihrem riesigen Anwesen hätte sie diese Kreatur niemals
geduldet. Die Perspektiven hatten sich nun einmal verschoben. Clara dachte über
das letzte Gespräch mit ihrem Entführer nach. Sie nannte ihn nur selten beim
Namen. Sie fand, dass er keinen Namen verdiente. Er war ein kleiner,
unbedeutender Wurm, der seine Stellung im Leben nicht verkraftete. Und der sich
nun an der Gesellschaft rächen wollte, indem er versuchte, ihre Familie zu
zerstören. Wieder kamen ihr die Fernsehbilder vor das geistige Auge. Ihr Vater,
ihre Mutter. So sehr sie diese ganze Situation verdammte, so sehr war sie auch
über einen Umstand glücklich. Sie wusste jetzt, dass sie von ihren Eltern
geliebt wurde. Das war nicht immer ganz klar gewesen. Vor allem bei Mutter
hatte sie Zweifel gehabt. Dafür schämte sie sich jetzt ein wenig.
    »Ich liebe
euch auch«, flüsterte sie ganz leise, während sie gegen die Tränen ankämpfte.
Dieses Mal würde sie stark bleiben. Es gab jetzt keine Zeit für Schwäche. Ihre
Überlegungen kehrten zu Michael zurück. Er war gut zehn Jahre älter als sie.
War gebildet. Schien gute Manieren zu haben, die ihm aber immer wieder einmal abhandenkamen . Ein Choleriker. Oder war er psychisch labil?
Schwankte er zwischen den Extremen? Sie konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen.
Nur eines. Er war ein Soziopath . Gestört und
hochgradig gefährlich, da er sich nicht unter Kontrolle hatte. Krankhaft
besessen von seiner toten Frau. Hatte er zu Hause einen Schrein für sie
aufgebaut? Oder gar ihre Leiche versteckt? Clara beurteilte ihn als völlig
anormal. Er war ihr nachgeschlichen wie ein Stalker .
Hatte eine unbändige Wut auf ihre Bekanntheit und machte ihren Vater für den
Tod seiner Frau verantwortlich. Das war absurd. Sie glaubte, dass nur die
Erinnerung an seine Liebe zu Sarah ihn davon abhielt, über sie herzufallen. Was
hatte er gesagt? » Es stehen uns harte Zeiten bevor, die Tatkraft verlangen . « Immer wieder
derlei Andeutungen, die nichts Gutes verhießen. » Ich fürchte, es ist schon
zu spät für Sie . « Jetzt sprach Clara ganz laut vor sich hin.
    »Pass nur
auf, dass es nicht zu spät für dich sein wird !« Es tat
gut, sich Luft zu verschaffen. Die Ratte war aufgeschreckt. »Ja, auch du wirst
bald nur der Schatten eines schlechten Traumes in meiner Erinnerung bleiben«,
fügte sie jetzt wieder leiser hinzu.

 
    4

 
    Ich saß im
Wirtshaus und blätterte in einer Tageszeitung. Das bewahrte mich davor, an irgendeinem
Gespräch teilnehmen zu müssen. Im Radio liefen die neuesten Hits. Noch vor
einer Stunde war ich am Friedhof gewesen. Ich hatte den Schnee von der
Grabplatte entfernt, das Gesteck erneuert, ein Licht angezündet und Blumen in
die Grabvase getan. Einen Strauß verschiedenfarbiger Rosen.
    Sie hatte
Rosen immer sehr geliebt. Unser

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