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Clara

Clara

Titel: Clara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koller
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wohl wahr.
    »Was ist mit
dem Taubstummen ?« , fragte ich. Sie überlegte kurz.
    »Der
Taubstumme ist ein guter Mensch .« Das war ich
offensichtlich nicht. Ich erinnerte mich an das Versprechen, auch etwas mehr
über mich zu erzählen. Und dafür war nun der richtige Zeitpunkt gekommen. Quid pro quo.
    »Ja, die Welt
ist voll von ihnen«, begann ich. »Gute Menschen, böse Menschen. Normale,
Verrückte. Ich habe genügend davon erlebt. Aber glauben Sie mir. Es ist nicht
alles schwarz oder weiß. Selbst ich nicht. Auch wenn Sie das vielleicht anders
sehen. Ich bin nicht schwarz zur Welt gekommen. Ich habe nicht immer schwarz
gelebt. Und ich werde auch nicht schwarz sterben. Das können Sie getrost
glauben .« Dafür würde Clara sorgen. Dessen war ich mir
sicher. »Meine Familie betrieb über viele Generationen hinweg einen Holzhandel.
Doch die Preise verfielen, die Großen schluckten die Kleinen. Fraßen sie mit
Haut und Haaren auf. Auch uns. Schließlich gab mein Vater auf. Verkaufte und
setzte sich zur Ruhe. Alles, was übrig blieb, waren ein verwahrlostes
Grundstück und der alte Familiensitz in einem kleinen Dorf. Ein altes,
renovierungsbedürftiges Haus, das ich seit dem Tod meiner Eltern bewohne.«
Clara erhob sich von ihrer Liegestatt und nahm auf dem Sessel Platz. Sie war
nun interessiert.
    »Befinden
wir uns in diesem Haus? In diesem Dorf?« Ich lächelte sie an.
    »Es wundert
mich, dass Sie mich das nicht schon viel früher gefragt haben. Nein, wir sind
nicht in diesem Haus. Aber nicht weit davon entfernt. Auf dem verlassenen
Grundstück am Waldrand. Im Norden. Nahe der Grenze .« Clara nickte. Nun wusste sie es. Aber was half ihr das? Ich setzte meine
Geschichte fort. »Trotz der Pleite wurde mir der Besuch einer höheren Schule
ermöglicht. Nach dem Abschluss und der Militärzeit ging ich nach Wien, wo ich
einen Posten im Staatsdienst antrat. Grundsolide. Doch die Stadt blieb mir
fremd. Und so kam ich zurück. Trat eine Bürostelle bei einer großen
Versicherung an. Nicht gerade üppig entlohnt. Aber es reichte. Dann lernte ich
meine Sarah kennen .« Ich unterbrach kurz. Ja, meine
Sarah, wie wundervoll war sie gewesen. Clara blickte mich verlegen an. Wenn ich
von Sarah sprach, sah sie mich mit anderen Augen. Das wusste ich. Sah mich
beinahe als Menschen. Wir hatten beide mit den gleichen Vorurteilen zu kämpfen.
Bloß mit verschiedenen Vorzeichen. Das wurde mir in diesem Moment bewusst. Ich
fuhr fort. »Ich liebte sie vom ersten Tag an. Wir lachten viel zusammen, hatten
ähnliche Interessen. Nach dem Abschluss ihrer Ausbildung zur Altenpflegerin
heirateten wir. Den Antrag habe ich ihr an einem romantischen Ort während einer
Australienreise gemacht. Wir bezogen eine kleine Wohnung in der nahen Stadt und
gingen unserer Arbeit nach. Freuten uns auf die gemeinsame Freizeit, auf die
Urlaube, die uns um die ganze Welt führten. Dafür legten wir jeden Cent zur Seite.
Als meine Eltern starben, erbte ich das Haus, und wir siedelten um. Es war ein
ruhiges, unspektakuläres Leben. Sarah war alles, was ich mir je gewünscht
hatte. Und dann war sie tot .« Wieder kehrte Stille
ein. »Danach lief alles schief. Ich driftete ab. Trank wie ein Wahnsinniger.
Und verlor meinen Job. ›Leider müssen wir Ihnen mitteilen …‹ Ich kapselte mich
total ab, ließ niemanden mehr an mich heran. Sarah hatte mir die Scheu, das
Misstrauen vor den Menschen genommen. Das Misstrauen, das mich in meiner Jugend,
in meinem Erwachsenwerden stets begleitete. Nun kehrte es zurück. Intensiver
denn je. Es wird für immer mein Herz umschließen .« Clara sah mich auffordernd an. Sie wusste, dass es noch nicht zu Ende war. Noch
nicht. »Irgendwie kam ich wieder zu einer Arbeitsstelle. Eine halbe Autostunde
von hier entfernt. Arbeiter in einem Kühllager. Das war geblieben. Ein
unterbezahlter Knochenjob. Eingegliedert in die Armee der Unterjochten. Ich
begann, einen Plan zu schmieden. Einen Plan, dem ich alles unterordnete. Und so
baute ich dieses Etablissement hier. Und suchte mir einen geeigneten Bewohner
aus .« Clara blickte finster. Doch sie erwiderte
nichts. Es war ein kurzer Bericht gewesen. Ein grober Überblick auf ein Leben.
Ich erhob mich und ging zur Schleuse. Die Tür war nicht verschlossen. Wozu
auch? Die Gitter waren nicht zu überwinden. Ich kam mit einem kleinen Käfig in
der Hand zurück. Clara sprang augenblicklich auf. Sie stieß einen hellen Schrei
aus. Wich bis zur Wand zurück. Ich machte den Käfig auf und ließ eine

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