Clara
Gott nicht verantwortlich machen.
5
Clara war
vorbereitet, als die Stahltür geöffnet wurde. Sie hatte den Tisch näher zu den
Gittern gerückt und den Besen griffbereit daran gelehnt. Außerdem stand ein mit
scharfem Desinfektionsmittel gefüllter Becher darauf. Es musste alles sehr
schnell gehen. Denn einen zweiten Versuch hatte sie nicht. Ein zweiter Versuch
würde ihren Untergang besiegeln. Dies erschien ihr die einzige Sicherheit in
der Aktion, zu der sie sich entschlossen hatte. Michael trat ein, und Clara
unterbrach ihr vorgetäuschtes Reinemachen. Kam direkt ans Gitter und streckte
ihre beiden Hände heraus. Die Angst ließ ihr Herz rasen. Das Blut wurde durch
ihre Adern und Venen gepumpt. Der Adrenalinspiegel erreichte den Plafond. Ihr
ganzer Körper begann zu schwitzen. Der Stress stieg ins Unendliche. Noch konnte
sie einen Rückzieher machen. Nach anderen Möglichkeiten suchen. Doch es gab
keine andere Möglichkeit. Nicht für sie. Ihre Finger begannen, leicht zu
zittern. Nur noch wenige Sekunden. Dann würde alles vorüber sein. So oder so.
Dieser Gedanke elektrisierte sie völlig. Ja, sie war entschlossen. Die
Entscheidung war gefallen. Er ging an ihr vorüber und setzte sich auf seinen angestammten Platz. Clara war verwirrt. Hatte er etwa schon
wieder ihre Gedanken lesen können? Ohne sie dabei auch nur anzusehen? Was war
das für ein Satan, der solche Ahnungen verspürte? Oder hatte er sie über
Stunden hinweg durch die Kameras beobachtet und sich alles zusammengereimt? Sie
wusste es nicht. Beharrlich hielt sie ihm weiter ihre Hände entgegen, damit er
die Schellen anlegen konnte. Mehr aus Frust und Trotz. Ihr Plan schien ins
Leere zu laufen. Sie wartete auf seine Triumphrede. Und auf die folgende
Bestrafung. Doch es kam ganz anders.
»Nicht
jetzt, Clara«, begann er und bedeutete ihr, Platz zu nehmen. Wieder einmal
waren sie so weit. Ein kleiner Schwatz unter Freunden. Der kalte Schauer lief
ihr über den Rücken. Er fuhr fort. »Ich habe schlechte Nachrichten für Sie .«
Na klar. Der
König der schlechten Nachrichten hielt hier schließlich Audienz. Clara wollte
ihm bei seiner Strafrede zuvorkommen. Doch er gebot ihr mit einem
unmissverständlichen Wink Einhalt.
6
»Ihr Vater
ist ins Krankenhaus eingeliefert worden .«
Irgendetwas
in ihrem Blick passte nicht. Es war vielleicht nur für einen Moment. Aber es
war da gewesen. War es Erleichterung? Oder hatte sie bloß noch Schlimmeres
erwartet? Clara sah mich fragend an. Jetzt wuchs die Angst wieder. Die Angst,
die sie seit meinem Erscheinen in sich getragen hatte. So offen wie ein
aufgeschlagenes Buch. Was hatte es mit dieser Angst nur auf sich?
»Was ist
passiert ?« , fragte Clara sichtlich besorgt.
»Er hatte
eine Herzattacke. Es kam gestern Abend im Radio .«
»Wie geht es
ihm? Was haben sie sonst gesagt ?« Clara war nun sehr
beunruhigt. Beinahe außer sich. Der geliebte Vater an der Schwelle des Todes.
Die Liebe, derer sie sich erst dank meiner DVD bewusst wurde.
»Man hat nur
von einem schweren Anfall gesprochen. Lebensgefahr besteht aber offensichtlich
keine mehr .« Ich konnte ein leise gemurmeltes »Gott
sei Dank« vernehmen. Gott? Nein, Gott hatte damit nichts am Hut. Weder im Guten
noch im Bösen. Gott war nur Beobachter, der den Kräften freien Lauf ließ. Wie
sonst war diese Welt zu erklären? Diese Welt, die Gott nur noch in allergrößter
Not anrief. Und auch dann nur Schweigen empfing. Denn es gab nichts mehr zu
sagen. Oder zu tun.
»Er hat ein
paar Profiler vom FBI kommen lassen«, bemerkte ich.
»Echt hartgesottene Profis. Haben anscheinend auch
schon eine Spur. Bin gespannt, wo die nur hinführt .« Nun, das war vielleicht etwas zu herablassend. Aber ich konnte es mir einfach
nicht verkneifen.
Clara hörte
nur halbherzig zu. Zu sehr waren ihre Gedanken bei ihrem Vater. Ich sollte ihre
Aufmerksamkeit besser wieder auf mich richten.
»Mein Skalp
ist mittlerweile fünf Millionen wert. Oder der Ihre. Nicht schlecht, was?« Ja,
nun hatte ich Aufmerksamkeit. Clara stand auf. Ihre Hände zitterten, als sie
sie um die Gitterstäbe klammerte.
»Das ist
alles Ihre Schuld !« , klagte sie. »Nur Sie haben das zu
verantworten. Es ist so, als hätten Sie ihn persönlich dorthin befördert .« Sie bebte vor Wut. Ihre Schönheit war plötzlich voll da.
Schwebte durch den ganzen Raum. Strömte in jeden Spalt, in jede Ritze. Überkam
selbst mich, der sie gebannt beobachtete. »Wollen Sie uns alle töten?
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