Clara
kleiner Garten war voll davon gewesen. Ich
hatte mich nach ihrem Tod weiter darum gekümmert. Wenngleich die Pracht niemals
mehr zurückgekommen war. Aber das lag womöglich gar nicht an mir. Nur an meiner
Sichtweise. Alles war grau geworden. Düster. Der Garten, die Blumen, meine
Seele, mein Herz.
Nachdem ich
sehr lange kniend für Sarah gebetet hatte, war ich weinend zu meinem Auto
zurückgeschlurft. So wie jede Woche. Ich hatte mir abgewöhnt, täglich
herzukommen. Denn es brachte mich fast um. Einmal pro Woche war schon zu viel.
Es übermannte mich regelmäßig. Ich konnte dann unmöglich alleine sein. Also
ging ich in die Kneipe und suchte die Nähe anderer Leute.
Pünktlich zu
den Sechs-Uhr-Nachrichten stellte die Kellnerin ein frisches Glas Bier vor mich
hin. Ja, diese Nervenstärkung war jetzt sehr willkommen. Der Sprecher begann
mit dem Nachrichtenüberblick. Stunde für Stunde die gleichen Meldungen. » Die
Wirtschaftskrise spitzt sich weiter zu. Neuerlicher Bombenanschlag im Irak.
Pensionsreform gescheitert. Italienische Regierungskrise macht Neuwahlen
unumgänglich. France Marriott stellt ihre neue
Schmuckkollektion vor.« Nach dem Wetterbericht dann plötzlich eine Programmänderung .
» Soeben
erreicht uns folgende Meldung: Der Großindustrielle Kurt Bergmann, dessen
Tochter Clara an Weihnachten unter noch völlig ungeklärten Umständen vor dem
Familienanwesen entführt wurde, wurde mit einer schweren Herzattacke auf die
Intensivstation des Augustinerspitals in Wien eingeliefert. Genauere Angaben
über Kurt Bergmanns Gesundheitszustand sind vorläufig noch nicht bekannt. Wir
werden Sie im Laufe der nächsten Stunden über die neuesten Entwicklungen
informieren. Erst gestern hatte Bergmann die Belohnung für Hinweise, die zur
Befreiung seiner Tochter führen, auf die Summe von fünf Millionen Euro erhöht.
Den gleichen Betrag hat er auch dem Entführer selbst, im Falle der
Unversehrtheit seiner Tochter, in Aussicht gestellt. Die Polizei geht bei dem
Verbrechen von einem Einzeltäter aus und arbeitet weiterhin auf Hochtouren an
dem Fall. Zu diesem Zweck wurde auf Betreiben von Herrn Bergmann auch ein
hochklassiges Profilerteam aus den USA angefordert,
das die Arbeit inzwischen aufgenommen hat. Wie aus Polizeikreisen verlautbart
wurde, zeigt man sich zuversichtlich, schon bald eine Verhaftung vornehmen zu
können. Und nun zum Sport. Die Fußballnationalmannschaft unterlag auch im
zweiten Testspiel … «
Ich starrte
weiter in meine Zeitung. Ließ mir, so gut es ging, nichts anmerken. Innerlich
jedoch bebte ich. Die Leute ringsherum hatten die Nachricht gar nicht zur
Kenntnis genommen. Die Männer hier interessierten sich nicht sehr für Politik,
Wirtschaft oder Society. Wenn überhaupt, wurde mal abfällig darüber geredet. Der
Mikrokosmos Dorf, der sie umgab, reichte völlig aus. Wen kümmerte da schon die
weite Welt mit all ihrem Unbegreiflichen? Eine baldige Verhaftung wurde
angekündigt. Sie wollten den Täter also verunsichern. Ihn aus der Reserve
locken. Ihn zu einem Fehler zwingen. Diese Polizeitaktik war mir durchaus
bekannt. Ich hatte mich auch mit meinen Gegnern ausführlich befasst. Dem Internet sei Dank.
Woher nahm
die Polizei nur die Gewissheit, dass Clara noch am Leben war? Zweckoptimismus?
Oder Taktgefühl gegenüber der Familie? Alt-Bergmann war erledigt. Sein Herz
spielte nicht mehr mit. Ein Mann, der täglich Schicksal spielte, wurde nun
selbst heimgesucht. Genügte mir diese Gerechtigkeit? Fünf Millionen wollte er
lockermachen. Dazu jetzt der Herzinfarkt, hervorgerufen durch das plötzliche
Verschwinden der geliebten Tochter, die wochenlange Ungewissheit, das
flehentliche Bangen. Ja, es war vermutlich genug. Wieder erschien das Bild
eines Monsters vor meinen Augen. Eines Monsters, das mich darstellte. Doch es
ging nicht allein um Kurt Bergmann. Und auch nicht um Clara. Letztlich ging es
um mich. Um mein Seelenheil. Und dazu schien mir jedes Opfer gerechtfertigt.
Selbst der Tod anderer. So viel Egoismus hatte ich gelernt. Gelernt von Leuten,
die die Welt mit einem Fingerschnippen dirigierten. Umkrempelten. Ausradierten.
Gelernt von Leuten wie Kurt Bergmann. Also konnte er genauso gut verrecken.
Die
Gewissensbisse waren verschwunden. So wenig Bergmann etwas mit dem Tod meiner
Frau zu tun haben wollte, so wenig würde ich auch mit dem Seinen zu tun haben.
Sollten ruhig andere das Schwert führen. Ich war höchstens der, der die Fäden
an der Marionette zog. Und dafür konnte mich
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