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Clara

Clara

Titel: Clara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koller
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zusammenklappen. Sich nicht verrückt machen
lassen. Sich nicht aufgeben. Denn genau das wollte er erreichen. Sie so lange
erniedrigen, bis sie ihm die Füße küsste. Bis sie sein gesichtsloses,
willenloses Werkzeug wurde.
    Die
Dunkelheit drückte auf ihr Gemüt. Sie hatte den Überblick über die Zeit
verloren. Wusste nicht mehr, welcher Tag gerade war. Wie lange sie schon hier
gefesselt lag. Nun, es musste wohl nachts sein. Um sechs Uhr morgens würde sie
wieder Strom erhalten. Und Wärme. Erst jetzt registrierte sie die bittere
Kälte. Der Schock hatte sie ausgeblendet. Ihre linke Hand war nicht mehr ans
Bett gefesselt. Mit viel Mühe und unter starken Verrenkungen erreichte sie mit
den Fingerspitzen das Seil an der anderen Seite. Es zu lockern, war unmöglich.
An eine Befreiung war also nicht zu denken. Sie begann zu schreien. Zu
schimpfen. Verfluchte den Menschen, der ihr das antat. Sie versuchte, sich mit
den Beinen loszureißen. Da spürte sie etwas gegen ihre Oberschenkel scheuern.
Vorsichtig griff sie hinunter. Ein glatter Gegenstand, der in der Matratze
steckte. Sie zog ihn heraus. Ein Messer! Beinahe euphorisch begann sie, die
Fesseln zu bearbeiten. Es dauerte lange, bis endlich ihre zweite Hand und die
Beine frei waren. Sie stand auf und tastete sich zum Vorratsschrank. Der Hunger
hatte sie überkommen. Sie kramte etwas herum und bekam ein Paket mit
Schnittbrot zu fassen. Darauf würde sie etwas Leberwurst streichen. Blind
kauerte sie vor dem Schrank. Die Kälte fuhr durch alle Knochen. Sie musste sich
schleunigst eine Decke holen. Das Scharren der Ratte war nun ganz nahe. Sie
forderte ihr Futter ein. Clara streute ein paar Krümel aus. Es war ihr egal,
dass das Tier näher kam. Jerry war alles, was sie noch hatte.

 
    4

 
    Ich saß, mit
dünnen Plastikhandschuhen bestückt, daheim vor meinem PC und schnitt meinen
kleinen Film zusammen. Um das Vorhandensein von Blut zu rechtfertigen, sollte
der Streifen mit der getürkten Vergewaltigung beginnen. So, als hätte ich schon
eine geraume Zeit an ihr herumgeschnipselt. Ich hatte bei der Positionierung
der Kamera sehr darauf geachtet, nur Clara, meine Hinteransicht und einen
kleinen Teil des Bettes ins Bild zu bringen. Nichts sollte auf die Ausmaße oder
den Charakter des Verlieses hindeuten. Kein Detail sollte Aufschluss über den
Standort geben. Bloß ein Bett, ein Stück weiße Wand und eine schauerliche
Geschichte. Das musste genügen.
    Ich hatte
nach der vermeintlichen Tötung absichtlich meinen Rücken ins Bild gestellt, um
die Verwendung des Theatermessers nicht preiszugeben. Clara hatte wirklich gut
mitgespielt. Hatte an den richtigen Stellen geschrien und war wie auf Bestellung in Ohnmacht gefallen. Nur das Zuhalten ihres Mundes
war nicht geplant. Aber leider notwendig. Ich konnte keinerlei verräterische
Hinweise zulassen. Folter musste subtil sein. In den Geist hineingehen und dort
Chaos verursachen. Körperliche Gewalt beschwor gerade das Gegenteil herauf. Das
Opfer verschloss sich und lernte, die Schmerzen zu ertragen. Entscheidend war
nicht die Ursache, sondern die Wirkung. Und dieses kleine Video würde sie
garantiert nicht verfehlen.
    Mein letzter
Blick in die Kamera war vielleicht etwas zu theatralisch gewesen. Und konnte
mich vielleicht sogar verraten. Doch ich schnitt ihn nicht heraus. Es war der
perfekte Abschluss. Davon war ich überzeugt. Auch der Adressat der DVD, die ich
vom fertigen Film brannte, würde das so empfinden. Natürlich unter gänzlich
anderen Voraussetzungen.
    Ich legte
die Disc auf meinen Schreibtisch und wandte mich nun dem Drucker zu. Ich hatte
ein teures Billett mit dem Aufdruck »Gute Besserung« gekauft. Goldene Ornamente
zierten die stilvolle Karte. Ich steckte sie an der richtigen Seite in die
Papierzufuhr und begann mit dem Druckvorgang. » Eine baldige Genesung wünscht
der Aufsichtsrat der Bergmann AG. Wir stehen Ihnen auf Ihrem schweren Weg bei . « Keine
Unterschriften. Als Geschenk hatte ich eine DVD ersonnen. »Frank Sinatra in
Concert«. Den mochte er. Ja, ja, das Internet. Ich scannte die Oberfläche der
Disc ein und druckte sie auf einer selbstklebenden Spezialfolie aus. Nach dem
Zuschnitt versah ich damit meinen Filmrohling und steckte ihn in die
Originalhülle der Sinatra-DVD . Der Rest war einfach.
Ich fälschte ein Firmenkuvert mit Betriebslogo und Poststempel, druckte die
Spitalsanschrift, den vermeintlichen Absender und den Adressat darauf und
füllte es mit Billett und Film.
    Gleich

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