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Clara

Clara

Titel: Clara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koller
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Gittertür ab und sammelte die stehen gebliebenen Toilettenzylinder ein.
Den Rest ließ ich einfach liegen. Als Clara merkte, dass ich keinerlei
Anstalten machte, in das Verlies einzutreten, wurde sie nervös. Sie durchbrach
das Schweigen.
    »Es tut mir
leid, Ihnen wehgetan zu haben«, begann sie. Die Spuren ihres Überfalls waren
noch deutlich auf meinem Kopf zu sehen. »Aber Sie müssen doch verstehen, dass
ich versuche, hier rauszukommen . An meiner Stelle
hätten Sie auch so gehandelt .« Vermutlich hatte sie
damit recht . Und doch spielte es keine Rolle. Denn ich
wäre niemals an ihrer Stelle gewesen. »Bitte sagen Sie doch etwas! Und lassen
Sie mir bitte den Strom. Ich friere entsetzlich. Alles ist schmutzig. In der
Dunkelheit kann ich doch nichts machen .« Ja, die
Dunkelheit war grausamer als allgemein angenommen. Die Dunkelheit verwirrte die
Sinne. Machte selbst den Stärksten mit der Zeit zum hilflosen Individuum. Die
Dunkelheit besiegte alles. Die Intelligenz, den Widerstand, den Willen, die
Persönlichkeit. Die Dunkelheit war Gottes stärkste Waffe. Ich ging wortlos in
die Schleuse, lud den Ballast ab und kam mit einer weiteren Schachtel zurück.
Clara sah mich flehentlich an. Immer wieder hustete sie in die Ärmel ihres
Oberteils. Sie sah wirklich schrecklich aus. Ziemlich ungesund. Und der
vorherrschende Geruch versprach auch nichts Gutes. Ein Gemisch menschlicher und
tierischer Fäkalien, trübes, abgestandenes Wasser, verstreute Essensreste.
Schon bald würde sie ernsthaft krank werden. Wie hatte ich in meinem
Einführungsbrief geschrieben? » Ich bin kein Arzt . « Ja, die Hygiene war wirklich sehr
wichtig. Vor allem in einem völlig von der Außenwelt abgeschotteten Raum. Clara
sprach weiter.
    »Ich brauche
ein neues Feuerzeug. Und Gaskartuschen. Haben Sie das dabei ?« Sie schaute in die offenen Kartons. »Bitte! Ich brauche dringend etwas Warmes
zu trinken. Drehen Sie den Strom nicht wieder ab !« Jetzt kullerten ihr die Tränen über die Wangen. »Ich werde nichts mehr tun, was
Sie aufregen kann! Versprochen.« Ich blieb stehen und sah ihr in die Augen. Wie
ein reuevolles Kind nahm sie meine Blicke entgegen. In der Hoffnung auf
Vergebung. Doch hier war kein Ort für Vergebung. Hier galt es einzig, eine
Bestimmung zu erfüllen. Und dafür war jedes Mittel recht. Ich wandte mich
wieder von ihr ab und holte die großen Wasserbehälter. Auch die stellte ich vor
die Zelle. Sollte sie selbst zusehen, wie sie da rankam. Initiative war jetzt
gefragt. Sie musste lernen, selbständig zu werden. Die Zeit der Bedienung war
vorbei. Und sie musste auch lernen, mit Schwierigkeiten fertigzuwerden .
Mit echten Bedrohungen. Und mit Rückschlägen. All das konnte ich ihr nicht mehr
abnehmen. Sie musste lernen zu kämpfen. Um ihr Leben. Denn nur dann war sie
würdig. Und auch fähig. Sie musste improvisieren, ihre Ängste überwinden. Und
ihren Hass auf mich. Nur so konnte sie die Stärke entwickeln, die sie hier noch
benötigen würde. Ich öffnete den Reißverschluss meiner Jacke und zog eine
Zeitung aus der Innentasche heraus. Zielsicher warf ich sie aufs Bett. Dann
verschwand ich wieder hinauf zu den Bildschirmen, wo ich ihre Tragödie weiterbeobachten würde.

 
    7

 
    Clara stand
mitten im Raum und starrte ihm nach. Er hatte nicht ein Wort gesagt. Sie nur
mit vernichtenden Blicken angesehen. Nicht einmal die Sachen hatte er
hereingebracht. Jetzt musste sie sich die Gitterstäbe hindurch verköstigen.
Nun, zumindest blieb vorläufig das Licht an. Sie ging zum Bett und hockte sich
vor den Heizlüfter. Es tat unendlich gut, wieder etwas Wärme zu verspüren. Auch
Jerry hatte sich zu ihr gesellt. In den beiden kleinen Kartons schienen nur
wenige Lebensmittel zu sein. War wenigstens ein Feuerzeug dabei? Und
Gaskartuschen? Sie wollte nachsehen gehen, als ihr die Zeitung in den Sinn kam.
Sie nahm die großformatige Gazette auf und sah auf den Titel. Sofort kehrte die
Kälte in ihren Körper zurück. » Großfabrikant Kurt Bergmann Herzinfarkt
erlegen «. Sie las es zweimal, um es zu glauben. Ihr Vater war tot! Der
Schock über diese Nachricht hatte sie voll ergriffen. Die zerknüllte Zeitung in
den Händen. Sie begann, bitterlich zu weinen. Nicht einmal Abschied würde sie
von ihm nehmen können. Verhindert von dieser Kreatur, die für all das verantwortlich
war. Mit einem Mal wich die Trauer, und unbändiger Zorn überflutete sie. Clara
strich das Papier wieder glatt und begann zu lesen.
    » Wie ein
Sprecher der

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