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Clara

Clara

Titel: Clara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koller
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zugeschritten. Hatte sich gegen die Stahlstäbe gedrückt und
war dann auf den Boden gesunken. So lag sie jetzt vor mir.
    »Tun Sie das
nicht«, stammelte sie leise vor sich hin. Das Elend nahm kein Ende. Ich besah
mir ihren Körper, der verzweifelt nach außen drückte. »Tun Sie das nicht .«
    Ich musste
mich sehr zusammennehmen, um ganz sachlich, ganz unbeteiligt zu wirken.
    »Ich habe es
nicht vor. Aber fordern Sie es nicht heraus. Und nun stehen Sie auf !« Mein Ton wurde schärfer. »Kriechen Sie hier nicht vor
mir! Zeigen Sie Würde! Ich bin Ihr schlimmster Feind. Schon vergessen? Also
reißen Sie sich zusammen. Zeigen Sie mir die kleine, arrogante Clara, die
selbstverliebt über den Bildschirm schwebt. Oder die Löwin, zu der Sie hier
geworden sind.« Clara ging zum Tisch zurück und machte das Gas aus.
    »Was für
einen Sinn hat das hier alles ?« Sie wirkte resigniert.
»Beenden Sie doch diese Quälerei. Oder bereitet sie Ihnen derart Vergnügen,
dass Sie nicht davon ablassen können? Machen Sie ein Ende, wenn Sie wollen. Mir
ist es nicht mehr wichtig. Denn eine Chance gibt es für mich hier ohnehin nicht .«
    Es wurde ihr
alles zu viel. Sie stützte die Ellenbogen auf die Tischplatte und senkte ihr
Haupt. Ich stand auf und zog die Pistole aus der Jacke. Ging direkt auf sie zu.
Clara fuhr hoch. Mit weit aufgerissenen Augen. Jetzt stand der Tod ganz
eindeutig in ihrem Antlitz. Sie schluckte.
    »Oh Gott«,
murmelte sie leise vor sich hin. Ihre Halsschlagader trat hervor. Wild pochend.
    Ich zog den
Schlitten der Pistole nach hinten und ließ ihn wieder nach vorne gleiten. Die
Waffe war geladen. Mit ruhiger Hand richtete ich sie direkt auf Clara.
Stolpernd wich sie zurück. Mein durchgestreckter Arm
folgte ihr. Erbarmungslos. Ohne Möglichkeit zum Entrinnen. Clara erreichte die
Wand neben dem Kleiderschrank. Sie schloss die Augen. Ich konnte spüren, wie
sie betete. Die Spannung erfüllte den gesamten Raum. Die Ratte war auf den
Tisch gesprungen und machte sich über das Essen her. Die Ratte dachte bereits
einen Schritt weiter.

 
    5

 
    Die Sekunden
verstrichen, ohne dass irgendetwas passierte. Ich rührte mich genauso wenig,
wie es Clara tat. Es musste die Hölle für sie sein. Dann öffnete sie die Augen.
Im gleichen Moment senkte ich die Pistole. Legte sie auf den Boden. Dicht vor
die Stäbe. Und kehrte zu meinem Platz zurück.
    Sie zögerte.
Ganz kurz. Dann begann sie zu laufen. Stieß den Stuhl zur Seite und warf
beinahe den Tisch samt Kocher und Ratte um. Mit einem letzten Satz tauchte sie
hinunter und nahm die Waffe auf. Ein fester Entschluss stand in ihren Augen,
als sie sich wieder erhob und die Mündung nun auf mich richtete. Das Blatt
hatte sich gewendet. Ich musste nun schnell handeln, da sie kurz davor stand,
die Pi 80 abzufeuern.
    »Bevor Sie
abdrücken«, klärte ich sie auf »bedenken Sie, dass ich den Zellenschlüssel in
der Schleuse deponiert habe .«
    Sie hielt
die Waffe weiterhin auf mich gerichtet. Doch etwas hatte sich in ihr verändert.
Ihre Sicherheit war verschwunden. Dennoch. Das Feuer in ihr loderte weiter. Ich
erhob mich ganz langsam, um ihr zu demonstrieren, dass meine Hosentaschen
tatsächlich leer waren.
    »Wenn Sie
mich jetzt töten wollen, dann tun Sie es. Mir ist es einerlei. Aber bedenken
Sie dann ihre Lage. Und glauben Sie ja nicht, dass mich hier irgendjemand
suchen wird. Ich gehe niemandem ab. Ja, ich bin sogar
geneigt zu sagen, dass man froh wäre, mich nicht mehr zu sehen. Also wozu dann
suchen? «
    Clara zielte
weiterhin auf mich.
    »Was ist mit
Ihrer Arbeitsstelle? Die werden Sie doch vermissen .« Jetzt konnte ich mir ein Lächeln nicht mehr verkneifen. Ja, sie hatte
tatsächlich keine Ahnung von dem, was da draußen jeden Tag aufs Neue passierte.
    »Wenn ich
morgen nicht zur Arbeit erscheine, wertet das die Firma als Pflichtverletzung
und wird mich feuern. Sang- und klanglos. Denen bin ich doch scheißegal .« Clara wusste offenbar nicht, was sie machen sollte. Ich
jedoch schon.
    »Clara, wir
werden künftig ein Spiel miteinander spielen. Vielleicht nennen wir es ›Mein
Leben gegen deines‹. Wann immer ich Sie besuche, haben Sie die Chance, hier rauszukommen . Sie müssen nur erraten, ob ich den
Zellenschlüssel am Körper trage oder nicht. Wenn Sie das glauben, erschießen
Sie mich und sehen dann nach. Eine faire 50:50-Sache. Ich hoffe nur, dass Sie
sich nicht einmal irren. Denn eine zweite Chance haben Sie nicht .« Ich trat in den Gang und schlurfte ihn

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