Clara
während ich mir das Societymagazin ansah. Seit Sarahs Tod war alles überflüssig geworden. Auch die Benutzung eines
Glases. Ich hatte mich fallen lassen. Freunde und Verwandte von Clara wurden
interviewt. Sprachen über die Familie. Manche mit Tränen in den Augen. Manche
mit einem Lächeln auf den Lippen. Zwei Seiten ein und derselben Medaille. Weder
gut noch böse. Höchstens betroffen oder arrogant. Mitfühlend oder gleichgültig.
So, wie die Menschen eben waren. Ich machte den Fernseher aus. Hatte genug von
diesen Gesichtern. Von diesen Stimmen. Ich ging zum Wohnzimmerschrank und holte
die Pistole heraus. Steckte drei Patronen ins leere Magazin. Es war an der
Zeit, den Einsatz zu erhöhen. Es war an der Zeit, die Masken abzunehmen, hinter
denen die Leute sich versteckten. Hinter denen sie ihr Animalisches verbargen.
2
Clara war in
einem erbärmlichen Zustand, als ich das Verlies betrat. Mit völlig
eingefallenen Wangen kauerte sie vor dem Heizlüfter und rieb an ihren
Extremitäten. Kälte und Dunkelheit hatten ihr schwer zugesetzt. Der Wohnbereich
glich einem Schweinestall. Ekelhafter Gestank breitete sich über den ganzen
Raum. Die Ratte saß auf ihrer linken Schulter und starrte mich mit leerem,
schwarzem Blick an. Selbst sie hatte die Grausamkeit erkannt, die hinter dem
hier stand.
»Ich habe
frische Sachen für Sie mitgebracht«, eröffnete ich ihr. »Lebensmittel,
Kleidung, Gas, Feuer, Hygieneartikel, Sand, Bücher, Rätselhefte, DVDs und noch einiges mehr.« Clara drehte den Kopf zur
Seite. Richtete ihn direkt zur Wand hin. Doch ihre Worte waren für mich bestimmt.
»Wie komme
ich zu dieser Ehre? Eine kleine Wiedergutmachung, nachdem Sie meinen Vater
umgebracht haben?« Sie versuchte, gefasst zu wirken. Aber ihre Stimme verriet
einen anderen Gemütszustand. Sie war bis aufs Äußerste erregt. Bereit zur
Vergeltung. Ich war über ihren geistigen Zustand überrascht. So sehr der äußere
Verfall auch vorangeschritten war, ihr Verstand schien weiterhin gut zu
funktionieren. Sie hatte einen starken Willen, der sie all das hier durchhalten
ließ. So viel war klar. Eigentlich hätte ich ihr Abbitte leisten müssen. Die
kleine verwöhnte Diva entpuppte sich als echte Tigerin. Es machte mich beinahe
stolz, diesen Charakterzug ausgegraben zu haben. Aber auch sehr traurig. Welche
Verschwendung hatte sie an sich selbst betrieben. Ich erkannte da durchaus
Parallelen zu mir. Wenngleich die Vorzeichen freilich völlig andere waren. Sie
hatte durch Leiden ihre Stärken entdeckt. Ich hatte sie dadurch verloren. Unser
beider Leben war von eben dieser Verschwendung geprägt. Von der Vergeudung unseres
Potenzials. Die Bildschirm-Clara war nur ein Gebilde
aus Plastik. Unwirklich, unbrauchbar. Die Verlies-Clara hingegen war echt. Aus Fleisch und Blut. Sie war unendlich schöner.
»Nicht ich
habe ihn umgebracht«, antwortete ich. »Schon eher Sie. Oder haben Sie Ihren
kleinen Fluchtversuch vergessen? Es war nur eine logische Konsequenz, Sie dafür
zur Verantwortung zu ziehen. Die Idee mit dem Video war mir erst nach Ihrem
Ausbruch gekommen. Also, Sie sehen, letzten Endes haben Sie das Schwert gegen
Ihren Vater selbst geführt .«
Clara wandte
sich mir nun zu. Ihr Gesichtsausdruck war geprägt von Verachtung. Meine
Ausführung war ihr keine Antwort wert.
»Ich bin
heute gekommen, um Ihnen das Ende Ihrer Dunkelhaft zu
verkünden .« Claras Miene blieb weiterhin unbewegt.
Fast erschien es so, als wäre es ihr egal, was weiter passierte. Hatte sie etwa
aufgegeben? Oder war nur der Gram zu groß, um irgendeine positive Reaktion zu
zeigen? Ich wusste es nicht. Und es war letztlich auch belanglos. Ich hatte
nicht vor, mir das Heft noch einmal aus der Hand nehmen zu lassen. Wenngleich
ich ihr genau das Gegenteil vorgaukeln würde. »Ich möchte, dass Sie nun alles
hier aufräumen und den Müll bei der Gittertür deponieren. Anschließend werde
ich die neuen Sachen für Sie reinbringen .« Ich ging in
die Schleuse, kam mit frischer Kleidung zurück und legte sie direkt vor die
Gitterstäbe. »Wechseln Sie bitte jetzt gleich ihre Garderobe und reichen Sie
mir anschließend die gesamte Schmutzwäsche. Also auch Bettzeug und dergleichen.
Ich werde so lange in der Schleuse warten .« Clara
stand langsam auf und fischte sich das Gewand. Sie versuchte, ihren Husten zu
unterdrücken. »Ich bringe Ihnen auch gleich etwas Tee .« Sie blieb mit den Kleidern in der Hand kurz vor mir stehen. Ihre Augen blitzten
vor Hass. Zum
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