Clara
langsam in
Richtung Stahltür entlang. Clara folgte mir. Noch immer mit der Pistole im
Anschlag.
»Bleiben Sie
stehen !« , sagte sie eher verlegen als befehlend.
Ich schaute
sie gelangweilt an. Mein Puls hatte wieder Normalwert erreicht. Nur als sie die
Waffe aufgehoben hatte, war ich etwas nervös gewesen. Aber gleichzeitig auch
voller Hoffnung. Eine innere Stimme hatte mir jedoch geraten, es nicht so enden
zu lassen. Also hatte ich mich für den schweren Weg entschieden und Clara über
die Konsequenzen meiner Tötung aufgeklärt. Ich drückte die Klinke nieder und
verabschiedete mich von ihr.
»Gute Nacht,
Clara!«
Die Szene
hatte grotesk gewirkt. Der Täter entfernte sich achselzuckend von seinem
bewaffneten Opfer. Und entschwand, ohne den geringsten Schaden davongetragen zu
haben. Claras Überlebensdrang war stärker als der Wunsch nach Rache gewesen.
Kapitel 11 –
Erkenntnis
1
Clara stand
noch einen Moment lang mit der Waffe im Anschlag da. Dann senkte sie den Arm
und legte die Pistole auf den Tisch. Sie wusste jetzt, warum sie hier war. Er
hatte sie auserkoren, ihn zu töten. Sie sank in den Stuhl. Jerry kletterte auf
ihren Schultern herum. Stupste seine feuchte Nase gegen ihren Hals. Sie
lächelte kurz. Mit Tränen in den Augen. Clara überlegte. Sie hatte jetzt eine
Waffe. Aber war sie auch wirklich geladen? Und genügte es, einfach den Abzug zu
drücken? Sie würde sich mit der Pistole vertraut machen müssen. Wie konnte sie
wissen, ob er den Zellenschlüssel bei sich trug? Und würde er ihn überhaupt
jemals dabeihaben? Sie war sein Werkzeug. Sein Todesengel, den er mit sich
reißen würde. Dessen war sie sich ziemlich sicher. Sein ganzer bisheriger Plan
ließ nur diesen Schluss zu. Er wollte sie vernichten. Ihr toter Vater war der
Beweis dafür. Und auch Mutter war nicht sicher. Hatte er nicht damit gedroht,
auch ihr etwas anzutun? Er war geradezu davon besessen. Von Unglück und Rache
zerfressen. Da blieb kein Platz für Pardon.
Clara hob
die schwarze Waffe vorsichtig auf. Drehte sie langsam. Stets darauf bedacht,
den Lauf nur ja nicht in ihre Richtung zeigen zu lassen. Sie erinnerte sich
daran, wie er sie geladen hatte. Mit zittriger Hand umfasste sie den Schlitten
und schloss die Augen. Dann zog sie den Gleitteil zurück. Eine goldene Patrone
sprang heraus und fiel auf den Boden. Sie erschrak, und der Schlitten schnellte
wieder nach vorn. Sie wiederholte den Vorgang. Die zweite Patrone fiel. Dann
die dritte. Dann nichts mehr. Drei Patronen also. Dann riskierte sie es.
Drückte den Abzug. Es passierte nichts. Das Ding war entladen. Danach entdeckte
sie einen kleinen Hebel am Pistolengriff. Sie betätigte ihn, und das Magazin
fiel heraus. Clara hob die Patronen auf und steckte sie dorthin zurück. Dann
lud sie die Waffe erneut. Und entlud sie wieder. Schon nach kurzer Zeit hatte
sie den Schrecken verloren. Eigentlich war es ganz einfach. Sie entdeckte die
Visiereinrichtung und zielte auf verschiedene Gegenstände im Raum. Plötzlich
fühlte sie sich besser. Es tat gut, diese Waffe in den Händen zu halten. Die
Macht zu spüren, die von ihr ausging. Doch konnte sie damit auch die Freiheit
wiedererlangen? Sie legte sich ins Bett und nahm ein Buch zur Hand. Vielleicht
hatte Nietzsches Zarathustra Antworten parat. Ja, das ewig Gleiche beherrschte
die Welt. Und der Nihilismus, den Michael bis in die letzte Faser in sich trug.
2
»Warum
gerade drei Patronen ?« , wollte Clara von mir wissen.
Sie schien verändert. Ihre Selbstsicherheit war zurückgekehrt.
»Was denken
Sie ?« , gab ich einsilbig zurück. Clara setzte sich auf
den Stuhl und legte die Pistole auf den Tisch. Sie sah mich direkt an.
»Sie wissen
genau, was ich denke. Aber wieso drei? Glauben Sie vielleicht, dass eine
alleine für Ihre Hinrichtung nicht reicht? Denn das ist es doch, was Sie in
Wirklichkeit von mir wollen. Und mit dem, was hier bereits alles geschehen ist,
wollen Sie bloß meinen Anreiz steigern !« Clara hatte
ihre Stimme erhoben. Mehr bedrohlich als laut. » Den Anreiz steigern . « In der Tat, eine
durchaus treffliche Bemerkung. Sie hatte hier unten genügend Zeit nachzudenken.
Vielleicht zu viel Zeit. Nun, das konnte sich ändern lassen. Ich wusste auch
schon, wie. Wenngleich es noch einiger Vorbereitungen bedurfte. Clara fuhr
fort.
»Aber den
Gefallen werde ich Ihnen nicht tun. Denn wie ich Sie mittlerweile kenne, werden
Sie den Schlüssel ohnehin nie dabeihaben. Dazu fehlt Ihnen die
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