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Clara

Clara

Titel: Clara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koller
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verstärkt hätte. Zu gerne hätte ich gewusst, wie
Elisabeth Bergmann damit klarkam. Was sie fühlte. Ob sie so stark sein würde,
für ihre Tochter in den Tod zu gehen. Oder ob sie sich verkriechen würde und
der Dinge harrte, die noch kamen. Oder ob sie gar nichts empfand. Außer einem
undefinierbaren Gefühl der Leere, das sie mit Alkohol zu ertränken versuchte.
Ich hatte keine Ahnung, da ich ihren Hintergrund kaum kannte. Auch das Internet
hielt wenig über sie parat. Ein paar Fotos von irgendwelchen Empfängen, ihr
knapper Appell an den Entführer und zuletzt die angedeuteten Alkoholprobleme.
Sonst nichts.
    Ich
schlenderte die große Einkaufsmeile in der Innenstadt entlang. Wien wirkte
stets faszinierend und bedrohlich zugleich auf mich. Die Menschen, die Mauern,
die allgegenwärtige Geräuschkulisse. Die Zusammenrottung von Menschen in
Großstädten war wie ein endloser Schrei. Wie ein endloses Anbranden tosender
Wellen. Ich würde es ein paar Stunden lang ertragen können, bevor ich wieder
verschwand.
    Ich
überquerte die Ringstraße, die die Innenstadt von den Außenbezirken abtrennte
und ging zum Kunsthistorischen Museum. Dort würde ich mich verkriechen. Nachdem
ich eine Eintrittskarte gelöst hatte, nahm ich vor Bruegels »Jäger im Schnee« Platz. Die Jäger kehrten mit ihren Hunden ins verschneite
Dorf zurück. Viel hatten sie nicht erbeutet. Aber es würde reichen. Wie es
immer gereicht hatte. Die Frauen verbrannten vor einer Taverne Stroh. Die
Kinder spielten auf den Eisflächen und zugefrorenen Kanälen. Ein scheinbares
Idyll. Und doch störte mich etwas daran. Waren es die Raben, die über ihnen
kreisten? Die Raben, die an jenem schicksalhaften Tag auch über Sarah und mir
gekreist waren. Und das Idyll zerstörten .
    Plötzlich
blickte ich in ihre Augen. An ihr Totenbett geeilt. Ich sah es wieder vor mir.
Die Schläuche. Die Apparate, die piepsenden Monitore. Ihr Leben, das langsam
entschwand, als ich ihre Hand drückte. Die Tränen. Die Verzweiflung. Ihr langes
braunes Haar. Ihr niedliches Näschen. Ihre geschlossenen Lider. Das Grübchen an
ihrem Kinn. Ihre zarte Haut. Ihr Mund, der beinahe zu einem Lächeln geformt
war. Und meine leisen Worte. » Ich werde es jene spüren lassen, die das zu
verantworten haben. Ich werde dich wiedersehen , mein
Schatz. Dort, wo ich dich gefragt habe. Dort bei den ›Zwölf Aposteln‹. «
    Die
Schwestern hatten die Decke über ihr Gesicht gezogen. Doch ich riss sie wieder
runter. Umklammerte sie ein letztes Mal, bevor ich zusammengebrochen war. Ich
betrachtete wieder das Gemälde. Sarah war in Frieden gestorben. Und
gleichzeitig hatte mein Krieg begonnen. Zuerst nur unterbewusst. Denn ich hatte
keine Ahnung gehabt, wie ich meinen Schwur einlösen konnte. Bis an jenem Tag
Clara Bergmanns Gesicht auf dem Bildschirm aufgetaucht war. Ich erhob mich von
der gepolsterten Bank und ging weiter. Hatte meine Skrupel ein weiteres Mal
überwunden. Denn ich war der Rächer.

 
    3

 
    Ich saß
daheim an meinem Schreibtisch. Der letzte Brief an Frau Bergmann war sehr kurz
gewesen. Eigentlich war es nur ein Zettel. Darauf stand » Morgen können Sie
die Taucher rufen . « In Verbindung mit Burgers vergammeltem Ohr eine klare, ultimative Drohung. Ich
hatte meinen letzten Trumpf ausgespielt. Jetzt lag es an ihr.
    Ich fuhr den
neuen PC herunter. Ein Interessent hatte sich per E-Mail gemeldet und sich für
eine Hausbesichtigung angemeldet. Es war an der Zeit, das Haus zu verkaufen.
Und daher hatte ich es nebst einigen Fotos und allgemeinen Angaben im Netz
annonciert. » Einfamilienhaus in beschaulichem Dorf nahe der tschechischen
Grenze ( Alt-Mürren ) zu verkaufen. Einige geringfügige
Renovierungsarbeiten nötig. Sehr günstig zu haben. Ideal für Wochenendpendler.
Kleiner Gemüsegarten. «
    Das
Grundstück würde ich vorläufig noch behalten. Und den Pritschenwagen. Alles
andere musste weg. Auch meine alte Klapperkiste. Denn der letzte Akt brach an.
Und für den benötigte ich noch etwas Kleingeld. Ich ging gerade in die Küche,
um mir eine Kleinigkeit zum Essen zuzubereiten, als es plötzlich an der Haustür
klingelte. Es war früher Nachmittag. Der Postbote konnte es also nicht sein.
Ich ging zur Tür und lugte durch den Spion. Zwei etwa vierzig Jahre alte Männer
mit leicht abgetragenen Jacketts und ebensolchen Stoffhosen standen auf dem
Fußabtreter. Kriminalpolizei. Ich öffnete die Tür und sah sie fragend an.
    »Kripo«,
bemerkte einer der beiden trocken und zeigte

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