Clara
bereits ausgeschlossen. Näheres wurde aber
bisweilen nicht bekannt gegeben. Vermutlich steht diese neuerliche Tragödie
ebenfalls in unmittelbarem Zusammenhang mit der Entführung Clara Bergmanns. Mit
weiteren Einzelheiten meldet unser Korrespondent Peter Kohlbauer sich nun
direkt vom Unglücksort . «
Ich begann,
wieder zu essen. Der Geschmack war aber nicht mehr der Gleiche. Er mutete sich
nun etwas faulig an. Und so war es auch. Faulig. Alles in meinem Leben ging in
diesen Zustand über. Alles vergammelte, verdorrte, zerfiel zu Staub. Tiere wie
Menschen. Ich sandte die Pestilenz aus. Ich nahm einen tiefen Schluck Bier und
versuchte, es wegzuspülen. Elisabeth Bergmann hatte es also tatsächlich
gemacht. Befreiung und Schande vermischten sich in meinem Magen. Ich hatte das
nicht wirklich erwartet. Aber das Ohr war dann doch zu viel für sie gewesen.
Ich leistete ihr innerlich Abbitte. Sie hatte ihre Tochter also allen
Unkenrufen zum Trotz wirklich geliebt. Welch ein Trost würde das für Clara
sein. Und welch eine Motivation. Ich legte das Besteck zur Seite und rief den
Kellner zum Zahlen. Alles in allem verfügte ich nun über einen schönen Batzen
Geld. Was mich auch dazu veranlasst hatte, die Arbeitslosenunterstützung
abzumelden. Ich riss eine Brücke nach der anderen ein, die mich mit dieser Welt
noch verband. Zerstörte auf den Weg in den Untergang Menschenleben. Wenn alles
vorbei war, wollte ich ausgelöscht sein. Nur für das Grab meiner Sarah hatte
ich vorgesorgt. Zumindest für die nächsten hundert Jahre. Längerfristige
Zahlungen hatte die Gemeinde nicht angenommen.
Ich verließ
das Lokal, schritt über den kleinen Stadtplatz und sperrte den klobigen
Lieferwagen auf. Schon morgen würde ich hier zurückkehren, um eine Tageszeitung
zu kaufen und Claras Schmerz ins Unerträgliche zu steigern.
Kapitel 16 –
Entscheidung
1
Clara legte
das Buch in den Kleiderschrank. Hamlet. Welche Tragödie! Und welches Finale!
Clara war bereit. Es waren ihre Arme, ihre Beine, ihr ganzer Körper. Alles vibrierte
von diesem Gedanken. Von diesem Entschluss. Sie dachte nach. Hamlet war von
einer vergifteten Klinge verletzt worden. Stürzte in sein eigenes Schwert. Aber
auch der ruchlose Throndieb war tot. Und seine Mutter, die in Hamlets Augen
seinen Vater, den König, verraten hatte. Sie schloss die Tür zum Vorratsschrank
auf und holte die letzte Portion Fertignahrung heraus. Auch das Wasser war fast
alle. Schon heute Abend würde sie ihr eigenes Toilettenwasser trinken und auf
Nulldiät reduzieren müssen. Seit Burgers Abtransport war er nur noch einmal
erschienen. Er hatte kein Wort gesprochen. Nur den Abfall entsorgt und ein paar
Lebensmittel vors Gitter gestellt. Sie hatte das Unbehagen in ihm gespürt. Er
hatte sie nicht einmal angeblickt. Wo er sie doch ansonsten mit den Augen fast
verschlang. Nur auf das Buch hatte er geschaut, um zu sehen, wie weit sie schon
war. Während das Wasser langsam zu kochen begann, nahm sie Jerry vom Boden auf.
»Schon
bald«, flüsterte sie in seine spitzen Ohren. »Schon bald werden wir von hier
verschwunden sein. Das verspreche ich dir .« Sie hatte
ihren Rock an. Ihre frisch geputzten Schuhe. Und ihre Bluse. Nur die blutigen
Strümpfe lagen irgendwo im Schrank. Clara wollte ihm als Dame begegnen. Als der
Mensch, der sie war. Und nicht als jener, den er aus ihr machen wollte. Bei
seinem nächsten Besuch würde sie ihn erschießen und auf den Schlüssel in seiner
Tasche hoffen, der ihre Freiheit bedeutete. Denn das Ende war gekommen. Ihre
Kraft ging zur Neige. Der Glaube, die Hoffnung. Sie wollte nur noch Frieden.
Auch zum Preis ihres eigenen Lebens. Die Prioritäten hatten sich verschoben. So
viel hatte sie hier gelernt. Nichts war wichtiger als die menschliche Würde.
Und die wollte sie zurückfordern. Hier in diesem Käfig, den zumindest ihr Geist
bereits verlassen hatte.
2
Der
Fernseher lief gerade, als er durch die Stahltür ins Verlies trat. Eine
Dokumentation über das Schicksal der Indianer Nordamerikas auf DVD.
»Die ersten
europäischen Siedler sahen sie nicht als Menschen an«, begann er völlig
unverwandt. Clara drehte sich ihm zu. »Das passierte in der Geschichte immer
wieder. Bis heute. Denken Sie an die Kolonialzeit. Oder an das Dritte Reich.
Oder an die Apartheid. Und natürlich an den Clan. Es gab und gibt Menschen, die
sich überlegen sehen. Die über andere hinwegtrampeln. Und doch haben wir nichts
daraus gelernt. All die Jahrhunderte
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