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Clara

Clara

Titel: Clara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koller
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über sein Gesicht. Über sein
halblanges schwarzes Haar. Da kam mir ein Gedanke. Ich strich das Haar beiseite
und legte sein rechtes Ohr frei. Daher also das längere Haar, das mich bei ihm
stets irritiert hatte. Da es so gar nicht zu ihm passte. Er verbarg damit seine
kleinen Ohren. Ich musste beinahe lachen. Ich musterte dieses zierliche Ohr.
Strich kurz darüber. Dann zog ich mein Messer aus der Jackentasche und schnitt
es ab.
    Ich war mir
sicher, dass Burger als Kind   gelitten
hatte. An den Verspottungen, die mit diesem Makel einhergingen. Und die ihn
vielleicht zu dem gemacht hatten, was er letztlich darstellte. Ich warf das Ohr
in den Beutel und machte mich daran, seine Leiche in die Grube zu befördern.
Nur der Mond ließ noch etwas Licht durch die Wipfel der Bäume schimmern. Doch das
genügte mir. Ich war eine Nachteule. Gewohnt, in der Dunkelheit meine Kreise zu
ziehen.
    Ich bedeckte
den Körper mit Löschkalk und schaufelte das Grab anschließend wieder zu. Keine
Gebete, keine Tränen begleiteten diesen letzten Akt des Menschseins. Nur die
Stille des Waldes zur Nachtzeit, die vom Zirpen der nahen Grillen übertüncht
wurde. Ich warf Schaufel und Plastikbeutel in den Leiterwagen und verschwand
von hier. Ein leichtes Grauen zog über meinen Rücken, als ich aus dem Wald trat
und zurück auf mein Grundstück schlüpfte. Ein leichtes Grauen war alles, was
von Franz Burger geblieben war.

 
    4

 
    Als ich die
Schleusentür öffnete, stand Clara noch immer an die Gitter gefesselt da. Ich
hatte ganz vergessen, sie für die Zeit von Burgers Beerdigung loszumachen. Sie
blickte mich mit einem Ausdruck an, den ich bisweilen noch nicht an ihr kannte.
Ein Ausdruck, der Hass längst überwunden hatte. Ich ging mit einem Putzeimer in
der Hand in die Zelle und machte mich daran, den Blutfleck zu entfernen. Es war
eine mühsame Arbeit, die letztlich nicht von vollem Erfolg gekrönt war. Es
blieb ein Schatten. Wie eine Botschaft. Wie ein Ruf, der stets widerhallte. Zu
gegebener Zeit würde ich ein schärferes Mittel verwenden, um dieser Anklage
Herr zu werden.
    Ich ging
wieder in die Schleuse und brachte frisches Bettzeug, das ich sogleich gegen
das von Burger besudelte austauschte. Danach bestückte ich den Vorratsschrank
neu, sammelte die Schmutzwäsche ein und sorgte auch so noch für etwas Ordnung.
Na bitte. Jetzt hatte sie wieder ihre Putzfrau. Zumindest für heute. Als ich
mit meinen Verrichtungen zu Ende gekommen war, nahm ich die Waffe an mich.
    Clara stand
mit dem Rücken zu mir da. Sie nahm keinerlei Notiz von mir und meinen
Handlungen. Wie leicht wäre es gewesen, alldem ein Ende zu bereiten. Jetzt
sofort. Auf der Stelle. Doch der leichte Weg war selten der richtige. Ich nahm
das Magazin ab und entfernte die Patronen. Es waren zwei Schuss verblieben. Ich
griff kurz in meine Jackentasche. Der Schlüssel befand sich nach wie vor im
Schloss der Gittertür. Dann steckte ich zwei Geschosse zurück ins Magazin,
führte dieses in den Griff ein und legte die Pistole am Tisch ab. Wieder
draußen, nahm ich Clara die Handschellen ab und setzte mich. Sie blieb kurz
stehen und schritt dann durch den Raum. Klack. Klack. Sie wirkte erotischer
denn je. Sie war begehrenswert. Alles an ihr. Selbst der Blick, der mich
unentwegt bestrafte. Vor dem Bett hielt sie inne. Aber es waren nicht die
schlimmen Erinnerungen, die sie stoppten. Ich hatte ihr eine Ausgabe von
Shakespeares Hamlet auf den Kopfpolster gelegt. Sie
nahm das Buch in die Hand und setzte sich, mir zugewandt, auf die Bettkante.
Ränke, Liebe, Mord und Rache. Und ein Hauch von Wahnsinn. Das war der Stoff,
aus dem auch unser Stück bestand. Sie würde es verstehen. Spätestens wenn sie
es ausgelesen hatte. Dann würde der Vorhang fallen. Nur das Ende war noch
offen. Ich sah sie genau an, während sie das Buch wieder zur Seite legte.
    »Wenn Sie
damit fertig sind, wird es vorbei sein .« Ich deutete
in Richtung des Buches. Clara nickte. Sie griff sich an die Füße. Sie begannen
zu schmerzen. Burgers eingetrocknetes Blut schien sie jedoch nicht weiter zu
stören.
    »Ja, es wird
vorbei sein .« Ein tiefer Vorsatz klang in dieser
Stimme. Ein Vorsatz, der dem Leben keinerlei Bedeutung mehr beimaß. Ich
fürchtete mich in diesem Moment. Nicht vor der Waffe. Nicht vor dem möglichen
Tod. Ich fürchtete mich vor ihr. Vor Clara Bergmann, die ihren sexy Körper zu
verlassen schien. Wie um es zu unterstreichen, fuhr sie mit ihrer rechten Hand
über den kurzen Rock. Strich ihn

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