Clara
Haut zu Markte getragen wurde. Instinktiv wusste sie, dass sie gerade
beobachtet wurde. Und mit dieser Handlung gab sie das Zeichen. Sie würde die
schlafenden Hunde nicht wecken.
2
Es war schon
nach Mitternacht, als der zuständige Beamte sie endlich nach Hause brachte. Von
ihrem Rechtsbeistand hatte sie sich schon im Präsidium verabschiedet. Ihr Kopf
dröhnte immer noch von all den Fragen, die sie beantwortet hatte. Immer und
immer wieder. Wie, wo, was, weshalb, warum? Sie hatte den Ermittlern nicht viel
helfen können. Hatte die Zelle und die tägliche Routine beschrieben. Den Ablauf
ihrer Entführung und ihr rätselhaftes Erwachen im Wald. Nein, sie hatte den
Kidnapper nie zu Gesicht bekommen. Er trug ja ständig diese fürchterliche
Teufelsmaske. Nein, sie wusste nicht, wo der Keller sich befand. Er hatte nie
auf derlei Fragen geantwortet. Nein, er hatte sie nicht geschlagen. Es ging ihr
so weit ganz gut. Sie erkannte auch keinen Sinn für diese Entführung. Es war
ihr genauso ein Rätsel wie allen anderen. Ja, er hatte sie über den Tod ihrer
Eltern informiert.
Immer und
immer wurden alle möglichen Aspekte durchgekaut. Doch Clara blieb bei ihrer
Geschichte. Obwohl sie die leisen Zweifel der Polizisten spürte. Vermutlich
dachten sie an Vergewaltigung. Nun, damit hatten sie ja nicht ganz unrecht . Obwohl Michael es nicht gewesen war, der ihr das
angetan hatte. Aber darüber schwieg sie sich ebenso aus wie über alles andere
auch, was vielleicht zu ihm führen konnte. Er war tot. Durch ihre Hand. Und
damit sollte es sein Bewenden haben. Zudem gab es jemanden, der Dinge besaß,
die sie lieber ruhen lassen würde.
Clara
erschrak beim Anblick der Meute, die sich um das Eingangstor zu ihrer Villa
geschart hatte. Sie hatte es abgelehnt, vorerst unterzutauchen. Und sie hatte
auch eine stationäre psychologische Behandlung verworfen. Ihr Hausarzt würde
sich schon um sie kümmern. Sie war gesund und würde schon bald wieder völlig
hergestellt sein. Der Wagen bahnte sich mühevoll seinen Weg durch die Menge.
Überall blitzte es auf. Kameraleute rannten nebenbei her. Rangen um die besten
Bilder. Der Star war zurück. Und hatte garantiert eine Bombenstory im Gepäck.
Clara hielt
ihre Hände vors Gesicht. Sie war verwirrt, verstört, angewidert. Die Geister,
die ich rief. Hände schlugen gegen die Karosserie. Stimmen überschlugen sich.
Es war eine echte Treibjagd. Und sie konnte nichts dagegen unternehmen. Sich
nicht dagegen schützen. Auch die Polizei nicht. Nun, die hatten sie gewarnt.
Und sich nach ihrer Beharrlichkeit gegenseitig vielsagend angesehen. Mediengeile Göre. Die Welt hatte sie wieder. Mit all den Klischees
und Vorurteilen. Clara war erleichtert, als sie durchs Tor fuhren und dieses
sich hinter ihnen schloss. An der Eingangstreppe angelangt, verabschiedete sie
sich kurz und schritt mit dem Käfig in der Hand die Stufen zum Haus hinauf. Es
war wunderschön, wieder hier zu sein. Der Hausmeister öffnete ihr die Tür.
»Wir sind
alle so froh, dass Sie wieder bei uns sind, Fräulein Bergmann .« Wie hieß er noch mit Nachnamen? Mayer? Sie bedankte sich und nahm auch die
Beileidsbekundungen geduldig entgegen. Sie sah in seine Augen und bemerkte den
leeren Ausdruck darin. Es war ihm egal. Und er mochte sie nicht. Zum ersten Mal
in ihrem Leben hatte sie ihn überhaupt wahrgenommen. Die Menschen hier
respektierten sie nicht. Sie respektierten nur ihren Rang. Nicht ihre Person.
Nicht sie als Mensch. Und das hatte sie sich selber zuzuschreiben. Das wusste
sie. Er hatte sich nur aus Zwang mit ihr unterhalten. Denn er wollte sicher
nicht seinen Arbeitsplatz verlieren. Es war so, wie Michael es gesagt hatte.
Dieser eine Blick hatte zur Bestätigung genügt.
Clara
schickte ihn fort und ging direkt in ihre Räumlichkeiten. Alles war unverändert.
So, als wäre sie niemals weg gewesen. Maria erwartete sie. Dieselben Floskeln
glitten über ihre Lippen. Clara schickte auch sie weg. Sie konnte selbst für
sich sorgen. Als sie schon halb bei der Tür raus war, rief ihr Clara nach.
»Wie heißen
Sie mit Nachnamen ?« Maria blieb stehen, drehte sich um
und gab verblüfft zurück. »Steiner.« Dann entfernte sie sich. Clara hatte sich
nur vergewissern wollen. Michael hatte das gewusst. Woher auch immer. Der Punkt
war, dass sie selbst es nicht gewusst hatte. Nach so vielen Jahren. Mit all den
Launen, die in dieser Zeit über sie gekommen waren. Sie stellte den Käfig auf
einem kleinen Tisch ab und öffnete das
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