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Clara

Clara

Titel: Clara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koller
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hierhergekommen ? Hier in diesen Wald? Und wo lag
der? Sie fröstelte. Die Sonne musste gerade erst aufgegangen sein. Der Morgen
graute über dem Waldboden. Benetzte ihn mit Tau. Überflutete ihn mit seinen
ersten zarten Sonnenstrahlen. Sie blickte sich um. Erst jetzt sah sie ihn.
Beinahe wäre sie darüber gestolpert. Ein kleiner grüner Käfig stand direkt
neben ihr. Jerry saß am Gitter und schnüffelte ihr aufgeregt entgegen. Am Griff
war ein Blatt Papier eingespannt. Verwirrt nahm sie es an sich. Sie konnte sich
an nichts erinnern. Nur noch an den Schuss, die Pistole an ihrer Schläfe, den
Schlüssel und die grüne Mineralwasserflasche. Er hatte sie also wieder
überrumpelt. Aber er war doch tot! Wer hatte sie also hierhergebracht ?
Sie faltete den Bogen auseinander und las.
    » Lassen
Sie es gut sein. Alle haben, was sie wollten. Michael hat seinen Frieden. Sie
haben Ihre Freiheit. Ihre Eltern sind tot. Burger ist tot. Daran ist nichts
mehr zu ändern. Wühlen Sie nicht länger darin. Denn es führt zu nichts. Es
würde nur alles verschlimmern. Auch für Sie. Ich werde auf Sie achten. Und auf
die Filme, die ich besitze. Wilhelm Bach. «
    Wilhelm
Bach? Höchstwahrscheinlich nur ein Deckname. Michael Gruber hatte also doch
einen Komplizen gehabt. Einen Mann, der hinter den Kulissen wirkte. Den sie
nicht kannte. Aber der mit Michael in starker Verbindung stand. Und damit auch
leicht zu finden wäre. Clara überlegte. Warum hatte er sie freigelassen? Wo er
doch die Polizei fürchten musste. Sie nahm Jerrys Käfig auf und ging aufs Geratewohl
los. Sie sank mit ihren Absätzen immer wieder in den weichen Boden ein. Also
zog sie schließlich die Schuhe aus.
    Nach ein
paar Minuten war Autolärm zu vernehmen. Sie ging weiter. Und überlegte. Was
wusste sie denn schon? Sie hatte sich Michaels Gesicht gut eingeprägt. Und sie
kannte seinen Namen. Aber stimmte der auch wirklich? Und wo war sie gefangen
gehalten worden? In einem Keller irgendwo im Norden. An der Grenze. Das war ein
großes Gebiet. Vorausgesetzt, die Ortsangabe stimmte überhaupt. Auch Burgers
Name musste nicht echt sein. Er selber hatte ihn ihr gegenüber nie erwähnt.
Genauso wenig wie den Namen des Orts, an dem sie sich befanden. Sie hatte ihn
auch nicht danach gefragt. Und sie hatte ihn getötet. Wovon es zweifelsohne ein
Video gab. Vermutlich auch von der Vergewaltigung und der Tötung Michaels. Was
sollte sie aussagen? Dass sie ein halbes Jahr lang eingesperrt war. Eine
geladene Pistole im Schrank hatte. Vergewaltigt wurde und zwei Männer tötete.
Das klang doch verrückt. Und es würde ein Zwielicht auf sie werfen. Zu
unausweichlichem Gerede führen. Zu unterschwelligen Anschuldigungen. Vielleicht
erklärte man sie gar für wahnsinnig. Oder zur Drahtzieherin dieser ganzen
Ereignisse, um durch den herbeigeführten Tod der Eltern ans Erbe zu gelangen.
Sie würde bald in der Defensive landen. Sich unangenehmen, wenngleich
ungerechtfertigten Fragen stellen müssen. Lassen Sie es gut sein. Wie konnte
sie dieses Unrecht gut sein lassen? Und doch. Sie hatte sich selbst
Gerechtigkeit verschafft. Wozu also gegen Tote eine Anklage betreiben? Burger
war verscharrt worden. Und auch Michaels Leiche war sicher längst unter der
Erde. Bach hatte bestimmt dafür schon gesorgt. Und das Verlies? Eine Hütte mit
Keller, irgendwo in der Einöde. Die konnte auch leicht verschwinden. Und selbst
wenn die Polizei Michaels Identität ausforschen würde. Was nutzte das schon?
All die schmutzigen Details würden an die Öffentlichkeit gezerrt werden. Jede
widerliche Einzelheit. Sie würde in der Auslage stehen, während die Toten ruhten.
    Clara
erreichte einen Weg, der zu einer nahen Lichtung führte. Sie erkannte ihn
sofort. Selbst aus dieser ungewohnten Perspektive. Fast täglich war sie hier
entlanggelaufen. Keine tausend Meter vom Anwesen ihrer Familie entfernt. War
sie nicht gegenüber ihren Eltern verpflichtet, nach der Wahrheit zu suchen? Sie
bog in den Pfad ein und grübelte darüber nach. Aber sie fand kein geeignetes
Argument. Weder für die eine noch für die andere Richtung. Auf einer kleinen
braunen Bank nahm sie kurz Platz. Die Luft, das natürliche Licht taten ihr
unendlich gut. Sie würde sich entscheiden müssen.
    Nochmals
nahm sie die Nachricht zur Hand. Überflog sie ein letztes Mal. Dann knüllte sie
den Zettel zusammen und warf ihn in den Papierkorb, der neben der Bank
befestigt war. Sie wollte diese Filme nicht sehen. Wollte nicht miterleben, wie
ihre

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