Clara
Türchen. Jerry sprang sofort heraus und
flitzte durch die Zimmer ihres Apartments, deren Türen alle offen standen.
»Bleib in
der Nähe !« , rief sie ihm lachend nach. Clara
entledigte sich ihrer Kleider und ging ins Badezimmer. Drehte den Hahn zur
Badewanne auf, gab etwas Zusatz hinein und stieg ins erfrischende Nass. Es war
wie ein Wunder. Jede Pore ihres Körpers labte sich an der samtenen Flüssigkeit.
Sie nahm das Shampoo von der Ablage und wusch sich ihr blondes langes Haar. Ja,
es war ein Wunder. Sie war am Leben.
Langsam
glitt sie in der Wanne zurück und legte ihren Hinterkopf gegen die eingebaute
Polsterung. Schloss ihre Augen und versank in Gedanken. Sie konnte den Druck an
ihrer Schläfe spüren, den die angesetzte Pistole verursacht hatte. Sie hatte
das Spiel beinahe verloren. Michael hatte sich dieses Ende sicherlich
gewünscht. Doch es war anders gekommen. Und die Freiheit war die Belohnung. Die
Rendite für den Einsatz, um den es ging.
Clara
begann, leicht zu frösteln. Sie ließ noch etwas heißes Wasser in die Wanne. Es
war womöglich doch ein Fehler gewesen, der Polizei nicht die volle Wahrheit
erzählt zu haben. Schließlich war sie mit den Filmen jetzt erpressbar. Daran
hatte sie nicht gedacht. Nur an den Schutz ihrer Würde. Dieser Bach konnte sie
nun ohne Weiteres bloßstellen. Wenn er es geschickt
anstellte, vielleicht sogar als Mörderin.
Sie schlug
mit der Faust aufs Wasser. Eine Fontäne spritzte in die Höhe. Verdammt. Wie
konnte sie nur so wenig weitsichtig gewesen sein? Es erschauderte sie. Clara
stieg aus der Wanne und trocknete sich ab. Das Gefängnis rückte wieder näher.
Nur die Gitter fehlten. Die Gitter, die dieser Wilhelm Bach in den Händen
hielt. Lachend. Höhnend. Sie wurde wütend. Auf sich selbst. Es war nicht zu
fassen. Sie trug wieder Handschellen. War wieder in der Abhängigkeit.
3
Clara lag
auf dem großen Kingsize-Sofa und sah fern. Das Staatsfernsehen berichtete über
ihre Freilassung. Auch auf den privaten Stationen war sie die Tagessensation.
War nichts Wichtigeres auf der Welt passiert? Vielleicht ein Krieg? Oder eine
Hungersnot? Oder ein neuerlicher Wirtschaftsskandal? Kein Banker, kein Topmanager,
der ungestraft halbe Staatsvermögen veruntreut hatte?
Clara zappte weiter durchs Programm. Doch es fand sich nichts,
was ihr Interesse weckte. Nur alte Schnulzenfilme, törichte
Talksshowmasterinnen und jede Mengen Lügen oder Halbwahrheiten über sie. Und
natürlich reichlich Spekulationen. Clara machte den
Apparat aus und ging zum Panoramafenster im Obergeschoss. Die Reporter waren
nicht gewichen. Ja, es waren noch mehr geworden. Und sie warfen sich auf alles,
was ihnen vor Mikrofon und Linse kam. Die Nachbarn. Das Personal. Den
Briefträger. Vielleicht konnte er sich ja etwas dazuverdienen. Eine kleine
Andeutung. Ein unbeabsichtigter Bruch des Postgeheimnisses. Man würde es ihm
nicht nachtragen. Schließlich war Clara ja eine sogenannte öffentliche Person. Aus freien Stücken. Und damit jeder Respektlosigkeit, jedem
Übergriff uneingeschränkt ausgesetzt. Die Meute gab, und die Meute nahm. Das
Spiel mit dem Feuer verursachte stets Brandblasen.
Clara wandte
sich ab und ging in das Schlafzimmer ihrer Mutter. Warum hatte sie Selbstmord
begangen? Sie ahnte es. Obwohl es seitens der Polizei keinerlei Hinweise gab.
Clara hatte ein sehr distanziertes Verhältnis zu ihrer Mutter gehabt. Sie
hatten sich nicht geliebt und nicht gehasst. Waren sich einfach gleichgültig begegnet.
Nur als kleines Mädchen hatte es Momente gegeben. Momente, an die sich Clara
nun zurückerinnerte.
Es war an
einem regnerischen Herbsttag gewesen. Clara hatte im Haus herumgetobt. Und war
versehentlich in Mutters Schlafzimmer geraten. In die Tabuzone. Sie war vor
Schreck erstarrt. Doch Elisabeth Bergmann war gnädig gewesen. Hatte sie sogar
auf ihren Schoß genommen. Mit einem seltsamen Geruch in ihrem Atem hatte sie
mit ihr gesprochen. Ihr eine kleine Wandvertäfelung unter dem Bett gezeigt. Und
ihr versprochen, in ferner Zukunft einmal etwas sehr Persönliches für sie dort
zu verstecken. Claras Wahrnehmung der fernen Zukunft hatte sich auf den
nächsten Morgen erstreckt, an dem sie wütend und aggressiv verscheucht wurde.
Seitdem
hatte sie es nicht mehr gewagt, in Mutters Schlafzimmer zu erscheinen. Bis zu
diesem Tag. Als sie eintrat, war es so, als kehrte sie in eine fremde, längst
vergessene Welt zurück. Sämtliche Möbel waren mit Leintüchern abgedeckt. Auch
das Bett.
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