Clara
Schließlich ist da noch der Mord an mir. Da gibt es
natürlich auch ein Video. Das bleibt aber vorläufig unter Verschluss .«
Ich sehnte
mich nach einem Drink. Und nach einem Zug von einer Zigarette. Clara war
inzwischen aufgestanden. Sie schritt auf und ab. Ihre Gedanken rasten.
»Vergessen Sie es, Clara! Wenn ich nicht morgen früh beim Portier meines Hotels
erscheine, hat er Auftrag, ein Kuvert gleichen Inhalts abzusenden. Den Adressat
können Sie sich vorstellen. Machen Sie also keine Mätzchen und setzen sich
wieder .« Ich langte in den Koffer und warf den
Wohnungsschlüssel von Thomas auf den Tisch. »Ich habe mich bei Ihrem Freund
etwas umgesehen. Sehr schick. Fast so mondän wie bei Ihnen. Auf seinem Computer
sind einige dieser Fakten hier installiert. Die Erpresserbriefe an Ihre Mutter.
Die Videos. Er konnte sich nicht davon trennen. Ein letzter Hauch von Ehrgefühl
in ihm sagte, dass dieses Material einmal ans Tageslicht musste .«
Ich merkte,
wie mein zunehmender Sarkasmus, mein florierender Spott an ihr zu nagen begann.
Sie richtete sich im Sessel auf.
»Warum tun
Sie das alles? Wozu diese unsägliche Mühe? Ist Ihre Rachelust wirklich so
unersättlich, dass Sie dafür alles in Kauf nehmen? Selbst den Tod eines völlig
unschuldigen Menschen?« Niemand in dieser Welt war unschuldig. Doch das behielt
ich für mich. Ich legte die Pistole auf den Tisch. Clara erschrak.
»Es ist noch
immer ein Schuss darin .« Sie blickte abwechselnd auf
mich und die Waffe. »Nehmen Sie sie ruhig an sich. Sie werden sie ohnehin noch
benötigen .« Clara schüttelte den Kopf. Dann stellte
sie mir plötzlich eine ungewöhnliche Frage. Zumindest ungewöhnlich für diesen
eher dramatischen Moment.
»Warum haben
Sie sich in der Nachricht nach meiner Freilassung Wilhelm Bach genannt? Ist das
Ihr echter Name ?« Wie befremdlich von ihr, plötzlich
an Namen zu denken. Namen, die ihr nichts bedeuteten.
»Mein Name
ist Michael Gruber, wie Sie wissen. Und Sie haben einen Franz Burger getötet,
wie Sie ebenfalls wissen. Wilhelm Bach ist ein Synonym .« Jerry sprang auf Claras Schoß. Sie strich mit ihren zarten Händen über sein
Fell. »Ich habe Ihnen Stevensons seltsamen Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde zu
lesen gegeben. Nicht ohne Grund. Denn das ist es doch, was Sie in mir sehen.
Diese gespaltene Persönlichkeit. Dieses Gut gegen Böse. Diesen Kampf, den ich
in Ihren Augen stets verliere. Nun, vielleicht haben Sie damit sogar recht . Wenngleich es nur eine oberflächliche Betrachtung
ist. Ich habe es Ihnen immer wieder gesagt. Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß.
Nicht nur zwei Seiten einer Medaille. Es gibt so viel dazwischen, das Sie niemals zu ergründen suchten. Aber ich schweife ab.
William Brodie war ein schottischer Kunsttischler.
Ein ehrenwerter Mann, der nachts zum Verbrecher wurde. Er war die Vorlage für
Stevensons Roman. Brodie ist eine englische
Ortsangabe. Sie bedeutet übersetzt ungefähr so viel wie Graben. Oder Bach. Eine
kleine Reminiszenz an diese wunderbare Geschichte. Und an Ihre Sicht der
Dinge.« Erst jetzt bemerkte ich die kleine, aber prunkvolle Wanduhr. Es war
bereits nach Mitternacht. Clara sah mich unverwandt an. Der Hass war aus ihren
Augen verschwunden. War durch Kummer und Verzweiflung ersetzt worden.
»Was
erwarten Sie jetzt von mir ?« Ich schob ihr die Pistole entgegen.
»Ich erwarte
von Ihnen, dass Sie die Konsequenzen ziehen. Jede Minute, die vergeht, wird es
Thomas schlechter gehen. Sie können natürlich hier sitzen bleiben und nichts
tun. Einen weiteren Toten in Kauf nehmen. Sie können auch mich erschießen. Das
wären dann schon zwei weitere Tote. Also fünf insgesamt. Sechs mit meiner Frau.
Und die Beweise landen bei der Polizei. Kein noch so gewiefter Rechtsverdreher
kann Sie da mehr rausboxen. Und selbst wenn. Alles wäre vernichtet. So wie mein
Leben. Wollen Sie das wirklich? Mein Leben leben ? Ich
rate dringend ab .« Clara schloss die Augen. Sie musste
all das erst verdauen. Aber dafür blieb keine Zeit. Die Uhr tickte. Die Uhr,
die die Zerstörung vorantrieb.
»Warum ?« , wollte sie erneut wissen. Ich musterte ihren ganzen
Körper. Jedes Detail, das ich erhaschen konnte. Wie sehr sie mich doch
faszinierte.
»Sie haben
nie im Leben eine Entscheidung getroffen. Alle Leute immer vor sich
hergetrieben. Der Vater hat’s gerichtet. Das Personal hat’s gerichtet. Thomas
würde es in der Firma richten. Sie können sich ja nicht einmal entscheiden,
welche Schühchen Sie gerade
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