Clara
Haupthaus absperren? Er
lächelte. Bach betrat das marmorne Foyer. Schwaches Licht aus der oberen Etage
bedeckte den Raum. Zahlreiche Gemälde säumten die steinernen Wände. Ob Original
oder Fälschung, vermochte er nicht zu unterscheiden. Kurt Bergmann war also ein
echter Freund der Muse gewesen. Judith und Holofernes .
Zeus in der Unterwelt. Jason und die Argonauten. Odysseus. Welch lehrreiche
Geschichten verbargen sich dahinter! Geschichten voll von Tapferkeit, Weisheit,
Verführung, Grausamkeit, Hochmut und Erkenntnis. Hatte auch Kurt Bergmann seine
Lehren daraus gezogen? Bach bezweifelte es. Für ihn waren es vermutlich einfach
nur Bilder, deren Betrachtung ihm Freude bereitete. Der tiefere Sinn blieb ihm
verborgen.
Bach schritt
über die geschwungene, mit rotem Teppich belegte Treppe ins Obergeschoss. Dorthin,
wo er Clara vermutete. Ein langer Korridor tat sich auf. Mit schmalen Tischchen
an den Wänden. Und dezenten Kristallleuchtern an der Decke. Über den hölzernen
Wandpaneelen waren rot gemusterte Seidentapeten angebracht, wie man sie aus
Schlössern kannte. Er ging auf eine Pforte am Ende des Schlauchs zu. Licht
drang aus dem unteren Türspalt hervor. Er umklammerte fest den Griff seines
Aktenkoffers. Hielt kurz inne. Dann öffnete er. Ein großes, stark beleuchtetes
Wohnzimmer offenbarte sich ihm. Designercouch. Überbreiter Flachbildschirm.
Rokokomöbel an den Wänden. Ein Druck von Klimt .
Judith und Holofernes . Ja, wie der Vater so die
Tochter. Der ornamentreiche Teppich passte perfekt in dieses Ambiente. Bach war
beeindruckt. Es hatte wirklich Stil.
Eine weiße
Ratte saß auf dem niedrigen, schweren Mahagonitischchen in der Mitte des Raums.
Ach ja, Jerry. Den hatte er beinahe vergessen. Jerry, der lebende Beweis ihres
Dilemmas. Er starrte Bach mit seinen schwarzen, undurchdringlichen Augen an.
Feindseligkeit war zu erkennen. Wieder zeichnete sich ein Lächeln in sein
Gesicht. Er ging weiter. Warf einen kurzen Blick in das dunkle Schlafzimmer.
Ins Bad. Schließlich erreichte er das sogenannte Ankleidezimmer, in dem ebenfalls Licht brannte. Er bewegte sich ganz leise.
Fast katzengleich. Clara saß vor einem mit vergoldeten Verzierungen
eingefassten Spiegel und kämmte ihr langes Haar. Bach versteckte sich hinterm
Türstock und betrachtete ihr Spiegelbild. Sie wirkte irgendwie abwesend.
Verwirrt. Vielleicht auch verzweifelt. Die Routine des Kämmens schien sie gar
nicht wahrzunehmen. Clara war schöner denn je. Bach bemächtigte ein beinahe unüberwindlicher Drang. Ein Drang, sie zu küssen. Sie
lustvoll zu nehmen.
Er machte
kehrt und setzte sich auf die Couch. Legte den Koffer neben sich ab. Er schloss
kurz die Augen. Ließ die Umgebung auf sich einwirken. Das Licht ging im
Ankleidezimmer aus. Clara kam heraus. Barfuß . In
einem weißen Nachthemd. Bach lächelte sie an. Ein kurzer, erstickter Schrei
flutete den Raum. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie ihn an. So, als
hätte sie ein Gespenst gesehen. Blankes Entsetzen zeichnete sich in ihr
Gesicht.
»Guten
Abend, Clara«, begrüßte ich sie.
2
Clara stand
mit offenem Mund da. Für einen Augenblick unfähig, sich zu bewegen. Dann rannte
sie ins Schlafzimmer. Ich stand auf und folgte ihr. Völlig aufgelöst
durchwühlte sie ihre Handtasche. Suchte nach ihrem Handy. Endlich fand sie es.
Hielt das kostbare, mit glitzernden Steinen besetzte Teil in den Händen. Sie
klappte es auf. Ich ging langsam auf sie zu. Versuchte, nicht allzu bedrohlich
auf sie zu wirken.
»Bevor Sie
die Polizei rufen, sollten Sie sich vielleicht etwas anschauen .« Ich sprach ganz sanft. Sie drückte mit zittrigen Händen
dreimal auf die Tasten nieder. Ich ging zurück zur Couch, öffnete den
Aktenkoffer und holte ein Foto heraus. Ich hörte Clara im Hintergrund sprechen.
»Polizei?
Bitte, Sie müssen mir helfen! Ein Mann …« Sie brach ab, während ich ihr das
Bild unter die Nase hielt. Ein kurzes Zögern. Eine Männerstimme war undeutlich
zu vernehmen. Clara klappte das Handy zu. Im nächsten Moment war sie über mir.
Schlug mit geballten Fäusten gegen meinen Kopf. Der Schmerz war fast
unerträglich. Sie war rasend. Wütete, von Zorn und Hass angepeitscht. Ich stand
kurz davor, die Besinnung zu verlieren. Es war unglaublich, wie stark diese
zierliche Person war. Es gelang mir, ihre Arme unter Kontrolle zu bekommen. Sie
bespuckte mich. Trat auf meine Schienbeine. Immer wieder stöhnte ich vor
Schmerz auf. Ich spürte, wie etwas warmes Blut über mein
Weitere Kostenlose Bücher