Clara
anziehen sollen. All die Last, all der Dreck wurde
stets von Ihnen ferngehalten. Hat Sie zu einem unselbständigen Menschen
gemacht. Es gab Momente in diesem Keller, da habe ich Sie bewundert. Da habe
ich gehofft. Doch es war vergebens. Sie haben nichts mitgenommen. Haben
gelogen, nur um Ihre dumme Ehre zu behalten. Sie haben Ihre Ehre gar nicht verloren.
Aber das ist Ihnen nie bewusst geworden. Sie waren Opfer der Umstände. Und
dafür kann Sie niemand verantwortlich machen. Aber das zählt alles nicht. Sie
wollten Ihr beschissenes Barbiedasein weiterleben. Um jeden Preis. Auch um
Thomas, der den Boden küsst, auf dem Sie gehen. Sie widern mich an. Mit Ihrer
ganzen Selbstsucht. Mit Ihrer Ignoranz. Ich habe Ihnen über die Ausbeutung der
Massen erzählt. Nicht einmal haben Sie einen Ihrer Betriebe aufgesucht. Sich
vergewissert. Es ist Ihnen egal. Alles ist Ihnen egal. Sie trampeln über die
Toten hinweg, ohne auch nur eine Krokodilsträne zu verdrücken. Und dem werde
ich ein Ende machen. So leid es mir tut. Weil es Augenblicke gab, in denen ich
Sie wirklich mochte. In denen ich an alldem gezweifelt habe. In denen ich mich
am liebsten selbst getilgt hätte. Aber am Ende hatte ich recht .
Sie sind es nicht wert. So viele Möglichkeiten Sie auch hatten. Jetzt kommt die
Rechnung. Und Sie werden Sie verdammt noch mal bezahlen !«
Clara liefen
die Tränen übers Gesicht. Ob aus Erkenntnis oder aus purem Selbstmitleid,
wusste ich nicht. Ich hatte meine Mission. Meinen Schwur. Kurt Bergmann, der
Verursacher, war tot. Elisabeth Bergmann, der Anreiz, war es ebenfalls. Ich
hatte Gefallen daran gefunden. Gefallen, diese Familie zu zerstören. So, wie
sie mich zerstört hatte. Und Clara Bergmann, das Geschenk, war es auch bald.
Zerstört. Denn sie hatte ihre Chancen nicht genutzt. Hatte verabsäumt, das
Richtige zu tun.
»Was werden
Sie tun, wenn es vorbei ist? Wenn Ihr Werk vollendet ist? Wenn die verhassten
Bergmanns Geschichte sind ?« Clara wirkte mit einem Mal
sehr gelassen. Sie schien sich abgefunden zu haben. Das irritierte mich ein
wenig.
»Ich werde
zu den zwölf Aposteln zurückkehren .« Meine Augen
leuchteten bei dieser Vorstellung. »Aber zuvor werde ich mich natürlich um
Thomas kümmern. Bevor er seinen letzten Knebel verspeist .« Ich erhob mich und nahm den Aktenkoffer an mich. Mit einem traurigen Blick sah
ich auf sie hernieder. Clara begegnete ihm nicht. Stattdessen sprach sie mich
von der Seite an.
»Warum haben
Sie nie einen Versuch gestartet? Oder gefalle ich Ihnen nicht ?« Das war billig. Wollte sie etwa so ihren Hals aus der Schlinge ziehen? Oder war
sie nur in ihrer gottverdammten Ehre ein weiteres Mal gekränkt?
»Eine Frau
wie Sie würde sich niemals mit mir abgeben. Das war mir immer klar. Daran
änderten auch die Umstände nichts. Der Zwang. Ich habe das immer respektiert.
Und es war auch kein Thema. Denn wir leben in verschiedenen Welten. Ich kann
für niemanden fühlen, der mich nicht wahrnimmt. Es ist nicht wegen Sarah. Es
ist wegen Ihnen. Und natürlich auch wegen mir. Wegen der Tatsache, dass ich
schon gestorben bin.« Ich ging zur Tür und öffnete sie. Jerry saß noch immer
auf Claras Oberschenkeln.
»Auf
Wiedersehen, Clara. Ich werde draußen warten .« Sie
antwortete nicht. Ich ging auf den Flur, hin zu einem großen Panoramafenster.
Von Weitem waren die Straßenlaternen zu erkennen. Die
tote Nacht lag vor mir. Ein ohrenbetäubender Schuss krachte. Ich starrte
weiterhin aus dem Fenster. Ich hatte mein zerstörerisches Werk weiter
vorangetrieben. Womöglich sogar beendet. Obwohl sich mein Innerstes dagegen
sträubte. Denn es wäre zu einfach gewesen. Im Pförtnerhäuschen ging das Licht
an. Ich machte kehrt. Hin zur Treppe. Es war an der Zeit, von hier zu
verschwinden.
3
Clara
schloss das Fenster und legte die leer geschossene Waffe in eine
Kommodenschublade. Dann setzte sie sich aufs Sofa und betrachtete das Foto von
Thomas. Hatte sie ihn gerade getötet? Sie wartete darauf, dass Michael den Raum
betrat und sich vergewisserte. Eine Minute. Dann noch eine. Aber nichts
passierte. Sie atmete tief durch. Sie hatte es nicht über sich gebracht, sich
umzubringen. Trotz der Konsequenzen, die sie unweigerlich erwarteten. Der Tod
war kein Ausweg. Hier unterschied sie sich von Michael. Zumindest hatte sie
etwas Zeit gewonnen. Würde er Thomas wirklich freilassen? Oder erst auf die
Nachricht ihres Selbstmords in den Zeitungen warten? Es klopfte an der Tür. Sie
erschrak. Erstarrte.
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