Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)
zusammen und ihre Augen verengten sich zu messerscharfen Schlitzen. Sie saß so reglos da, dass Lizzie Rose schon glaubte, sie sei vielleicht eingenickt. Doch da öffnete die alte Frau die Augen. »Du bist gut«, stellte sie ohne Umschweife fest. Das war kein Kompliment, vielmehr eine Anklage. »Gaspare hat gelogen. Er meinte, du seist tückisch. Aber du bist gut. Möge Gott dir beistehen und möge Gott mir beistehen. Du bist schrecklich, unbrauchbar gut.«
Lizzie Rose wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Sie hatte nie eindeutig bestimmen können, ob sie nun ein guter Mensch war oder nicht. Büchern hatte sie entnommen, dass man, wenn man sich für gut hielt, wahrscheinlich nicht gut war, weil es selbstgefällig war, sich für gut zu halten. Andererseits wusste sie, welche Mühe sie sich gab, gut zu sein, und dazu wiederum passte Madamas Einschätzung »unbrauchbar« hervorragend. Denn ihr war nicht entgangen, dass Gutsein oft Ungelegenheiten bereitete. »Gnädige Frau …«
»Ja? Steh nicht rum und verknote deine Finger. Wenn du mich etwas fragen willst, dann frag! Und nenn mich Madama, nicht gnädige Frau!«
»Madama … wann haben Sie mit Mr Grisini über mich gesprochen?«
Auf dem Gesicht der alten Frau lag mit einem Mal ein zurückhaltender Ausdruck. »Das ist Monate her. Ich erinnere mich nicht an das genaue Datum.« Mit einer gebieterischen Handbewegung erklärte sie das Thema für erledigt und fuhr fort: »Es tut mir leid, dass ich dich beleidigt habe. Wenn du die Miniatur gern haben willst, dann nimm sie. Das ist nur so ein abgeschmacktes Bildchen. Ich habe dafür keine Verwendung.«
Lizzie Roses Blick wanderte von der alten Frau zu dem Mädchen auf dem Porträt. »Kannten Sie das Mädchen, gnädige Frau? War das Ihre Tochter?«
»Nein, ich habe keine Kinder.«
»Hat sie Ihnen viel bedeutet?«, fragte Lizzie Rose weiter.
Cassandra wehrte heftig ab: »Nein. Wir kannten uns aus der Schule. Als sie starb, hat sie mir ihr Porträt hinterlassen – ich habe keine Ahnung, warum. Es ist siebzig Jahre her, dass wir uns gesehen haben.«
Lizzie Rose zog den gepolsterten Stuhl heran, der vor dem Frisiertisch stand, setzte sich und faltete die Hände im Schoß. »Erzählen Sie mir von ihr«, bat sie.
Zu ihrer Überraschung schweifte der Blick der alten Frau in die Ferne und sie begann, zu erzählen.
37. Kapitel
Ein unvollendetes Geständnis
I hr Name war Marguerite Tremblay. Ich habe sie in der Klosterschule in Venedig kennengelernt – nein, warte, ich muss früher beginnen.
Als ich elf Jahre alt war, ist meine Mutter auf und davon. Sie war eine große Schönheit und sie hat einen gewaltigen Skandal verursacht. Lange Zeit wollte mir niemand sagen, was aus ihr geworden war. Die Diener erzählten mir, sie sei tot, aber wir trugen keine schwarze Kleidung und es gab auch keine Trauerfeier. Ich habe überall gelauscht, bis ich hinter das Geheimnis kam. Meine Mutter hatte sich entschieden, meinen Vater und mich zu verlassen, um mit einem anderen Mann in Schande zu leben. Und diese Schande hat auch auf uns abgefärbt.
In der feinen Gesellschaft waren wir nicht länger als Gäste erwünscht und man mied unser Haus. Mein Vater hatte mich einmal sehr geliebt, aber ich glaube, er fürchtete, dass ich wie meine Mutter werden würde – töricht und treulos. Es war eine unerträgliche Zeit für ihn und er beschloss, England zu verlassen. Mein Vater war Naturwissenschaftler und hatte Freunde in Padua. Also sind wir gemeinsam nach Italien aufgebrochen. Es war eine lange Fahrt und uns beiden lag das Reisen nicht. Mein Vater hat unterwegs kaum mit mir gesprochen. Letztendlich erreichten wir Venedig. Auf der Reise in der Kutsche war ich krank – das fremdländische Essen bekam mir nicht – aber auf den Kanälen Venedigs wurde ich nicht seekrank. Wir glitten den Canal Grande entlang und ich reckte den Kopf und bestaunte die Stadt.
Du warst wahrscheinlich noch nie in Venedig? Glaub mir, es gibt keinen schöneren Ort auf der Welt. Zu beiden Seiten des Kanals reihten sich Paläste aneinander: rosa und sandfarben, blassgrün und ocker … und die Welt war in Licht getaucht. Noch nie hatte ich etwas gesehen, was sich mit dem Licht von Venedig vergleichen ließe. So weich, wie Kerzenschein, der durch eine Muschel schimmert … Das Wasser war von gläsernem Grün und die sich kräuselnde Oberfläche ein einziges Spiel von Schatten und Spiegelungen. Schönheit wie diese kann einem das Herz brechen.
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