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Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)

Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)

Titel: Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Amy Schlitz
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Ich verspürte eine solche Sehnsucht, dass es schmerzte, und ich schöpfte Hoffnung. Ich hatte die wahnwitzige Vorstellung, dass ich in Venedig alles wiederfinden würde, was ich verloren hatte, selbst die Zuneigung meines Vaters.
    Natürlich irrte ich mich. Mein Vater hatte mich nach Venedig gebracht, um mich loszuwerden. Er meldete mich in der Klosterschule von Santa Maria dei Servi an. Die Venezianer hatten eine tiefe Abneigung gegen Ausländer, und mir ist es ein Rätsel, wie er die Nonnen überreden konnte, mich aufzunehmen. Jedenfalls taten sie es, und mein Vater ist nach Padua weitergereist und hat sich dort niedergelassen. Ich bat ihn, mir zu schreiben, und er hat mir sein Wort gegeben. Aber er hat es nicht gehalten.
    Dass ich unglücklich war, beschreibt nicht einmal ansatzweise meinen Gefühlszustand. Das Kloster war ein Gefängnis für mich. Die anderen Mädchen verachteten mich. Mein Vater hatte mir nur ein bisschen Italienisch beigebracht, und dann auch noch reinstes Toskanisch und kein Venezianisch. Die Mädchen in Venedig haben die Worte so undeutlich zusammengezogen, dass ich sie nicht verstehen konnte. Sie haben über mich gelacht. Ich war die Ausländerin, der dicke Trampel. Meine Kleider saßen nicht – ich wuchs zu schnell und alles war zu eng. Es gab keine Menschenseele, die ich mochte oder die mich mochte. Es kommt mir so vor, als musste ich mich durch jeden einzelnen Tag quälen, während ich die Nacht herbeisehnte, um weinen zu dürfen.
    Eines Tages kam Marguerite in die Klosterschule. Sie stammte aus Neufrankreich in Nordamerika und sie sprach kein Italienisch, nur Französisch und Englisch. Weil ich auch Englisch sprach, hat sie sich mir angeschlossen. Ich habe ihre Freundschaft nicht gesucht, sondern sie meine. Ich hatte erwartet, dass die anderen Mädchen Marguerite meiden würden, so wie sie mich mieden. Aber wenn sie ihr schlechtes Venezianisch nachäfften, stimmte sie in ihr Gelächter ein und mit der Zeit wurde sie zum Liebling der Schule. Du musst wissen, dass sie viele Dinge besaß, die ich nicht hatte. Ihr Papa hatte im Pelzhandel ein Vermögen gemacht und sie war sehr hübsch und ihre Kleider wurden in Paris genäht. Marguerite hatte stets von allem das Beste, von den Haarschleifen bis zum Schoßhündchen.
    Du hast gefragt, ob sie mir viel bedeutet hat. Es war genau umgekehrt: Ich war ihr wichtig. Sie hatte ein sehr anhängliches Naturell und war genauso erpicht darauf, zu gefallen, wie ihr Schoßhündchen. Wenn ich Kopfschmerzen hatte – damals litt ich oft an entsetzlichen Kopfschmerzen –, pflegte sie sich neben mich zu setzen und meine Stirn mit Lavendelwasser abzutupfen. Sie hatte viele Freundinnen, aber ich kam für sie an erster Stelle und war, wie sie immer sagte, ihre liebste Freundin. So nannte sie mich auch: ihre liebste Freundin.
    Ich hielt sie für eine Närrin: mich derart zu lieben, obwohl ich mir doch so wenig aus ihr machte. Marguerite hatte allerdings auch etwas Verwegenes, was ich bewunderte. Regelmäßig schlichen wir uns aus dem Kloster, besonders in der Karnevalszeit, wenn die Straßen voller Menschen waren, die fröhlich feierten. Keines der anderen Mädchen hätte sich das getraut. Das waren meine glücklichsten Stunden in Venedig … wenn wir uns gemeinsam aus dem Kloster davonstahlen. Dann, und nur dann hielt Venedig, was es mir versprochen hatte. Die Stadt war so lebensfroh und schön. Und wir wurden nie erwischt.
    Es gab eine Sache, die Marguerite und ich gemeinsam hatten: Auch sie hatte keine Mutter mehr und über dem Namen der Mutter lag ein Schatten. Als Marguerite sechs Jahre alt war, brach im Haus ein Feuer aus und ihre Mutter kam in den Flammen um. Marguerite wurde gesagt, es sei ein tragischer Unfall gewesen. Sie allerdings glaubte – und ich bin überzeugt, sie lag damit richtig –, dass Madame Tremblay den Brand selbst gelegt hatte: Sie hat ihrem Leben von eigener Hand ein Ende gesetzt . Ihr Vater leugnete das. Aber obgleich Marguerite noch ein dummes Kind war, besaß sie wie alle Kinder einen besonderen Instinkt für das, was sich unter der Oberfläche verbirgt. Marguerite erinnerte sich an die Tobsuchtsanfälle und melancholischen Schübe ihrer Mutter und war sich ziemlich sicher, dass sie an einer Geisteskrankheit gelitten hatte. Ich habe ja schon gesagt, dass mir Marguerite nicht viel bedeutete. Ich beneidete sie zu sehr, um sie lieb zu gewinnen. Aber sie tat mir auch leid wegen ihrer Mutter.
    Ich erinnere mich noch an den Tag, an

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