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Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)

Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)

Titel: Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Amy Schlitz
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er – Parsefall schreckte im Schlaf zusammen – lag auf Grisinis Schoß. Er war noch sehr klein. Zu klein: Grisini konnte Parsefalls Schädel mit seinen Fingern umfassen.
    Aber er hielt nicht seinen Schädel, sondern er hielt, zwischen Daumen und Zeigefinger, Parsefalls rechte Hand. Bei jeder Bewegung des Schaukelstuhls kippte Parsefalls Kopf nach hinten und sein linker Arm schwang hin und her wie ein Pendel.
    »Du siehst, was passiert, wenn du ungehorsam bist«, murmelte Grisini. Seine Stimme war sanft wie das Summen einer zufriedenen Biene. »Du wirst zur Puppe – zu meiner Puppe … Allerdings hast du zu viele Finger für eine Puppe, also« – er griff nach einer Feile – »muss ich die überflüssigen abhobeln.« Er begann, die Feile an der Außenseite von Parsefalls Hand zu reiben. Parsefall verspürte keinen Schmerz, aber er sah winzige Stücke seines Fleisches absplittern. Sein kleiner Finger wurde weggehobelt.
    Parsefall wollte schluchzen, er wollte Grisini anflehen, aufzuhören, er wollte versprechen, nie mehr ungehorsam zu sein. Er wollte aufschreien vor Empörung. Aber sein Gesicht blieb wie versteinert, und es war ihm unmöglich, Atem zu holen. Er lag schlaff auf Grisinis Schoß: Sein eines Knie war nach hinten verdreht und der linke Arm pendelte hin und her.
    »Da waren es nur noch neun«, sagte Grisini und klang zufrieden. »Die meisten Puppen haben nur acht Finger. Soll ich um der Symmetrie willen an der anderen Hand auch noch einen Finger entfernen? Oder bist du bereit, mir von nun an zu gehorchen?«
    Parsefall konnte nicht antworten. Er spürte, wie Grisini mit zwei riesenhaften Fingern nach seiner anderen Hand griff, und wieder sehnte er sich fieberhaft danach, sprechen zu können, um Grisini ewigen Gehorsam zu schwören. Der Stuhl schaukelte vor und sein Körper kippte auf schwindelerregende Weise. Wenn Grisini ihn nur fallen lassen würde. Wenn er nur auf den Boden gleiten könnte, weg von Grisini. Wenn er auch nur eine Sekunde von Grisini wegkommen …
    »Parsefall!« Da war erneut die Stimme des Mädchens. Auf unergründliche Weise folgte es ihm durch seinen Albtraum. »Parsefall, du träumst! Wach auf und du bist frei! Wach auf!«
    Der Schaukelstuhl glitt unter ihm davon. Grisini löste sich in Luft auf. Parsefall drehte sich herum, und da stand Clara. Ihr weißes Kleid leuchtete im Dämmerlicht. Ihre Augen waren vor Entsetzen und Mitleid weit aufgerissen. » Wach auf! «
    Parsefall versuchte, zu strampeln, den Mund zu öffnen und sich mit seinem eigenen Schrei zu wecken. Der Laut, den er ausstieß, klang heiser und gepresst, war kaum ein Flüstern. Ein weiterer Laut, schon kräftiger als beim ersten Mal. Und dann schließlich holte er Luft und schrie, wie er noch nie im Leben geschrien hatte.
    Das tat gut. Der Schrei löste ihn aus dem Albtraum, in dem er stumm war. Sogleich war Lizzie Rose an seiner Seite und umschlang ihn fest.
    »Parsefall, du hattest einen bösen Traum, nur einen bösen Traum …« Ruby winselte und scharrte hektisch mit den Pfoten, um auf seinen Schoß zu gelangen. »Schsch … Parse. Alles ist gut, du bist in Sicherheit. Ich bin da …«
    Er hielt ihr seine Hand direkt vor die Augen. »Das war Grisini«, stieß er hervor. »Er hat mir den Finger abgehobelt. Ich bring ihn um!«
    Lizzie Rose verstärkte ihre Umarmung und wiegte ihn hin und her. »Schsch … ist ja gut, Parse …«
    Parsefall ließ sie nicht weiterreden. »Er war’s. Er! Du weißt, dass es stimmt, Lizzie Rose. Er hat mich wie Clara verwandelt und dann hat er mir den Finger abgefeilt. Du weißt doch, dass Puppen nur acht Finger haben – er hat’s mit Absicht gemacht! Und ich mach’s mit ihm genauso. Ich verwandel ihn und dann hobel ich seinen kleinen Finger ab, alle seine Finger, einen nach’m anderen, und mit ’nem Messer tu ich ihm die Augen ausstechen –«
    »Schsch …«, wisperte Lizzie Rose. »Beruhige dich, Parse. Ganz ruhig, du kannst nicht –«
    »Kann ich wohl!«, widersprach Parsefall. Er befreite sich aus ihren Armen. »Genau wie Madama es gemacht hat. Ich kann alles machen, wo ich will. Ich brauch nur diesen Zauberstein. Ich werd ihn klauen.«

46. Kapitel

     
    Feuer und Eis
     
    I ch werd ihn klauen . Clara, die noch immer an der Vorhangstange in Cassandras Schlafzimmer baumelte, hörte Parsefalls Worte und wusste, dass er sie ernst meinte. Jeden Augenblick würde er durch die Flügeltür kommen und den Feueropal stehlen. Der Stein würde sein Untergang sein.

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