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Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)

Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)

Titel: Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Amy Schlitz
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Herz.
    Die glasige Außenhaut des Opals barst. Clara spürte es: ein aufblitzendes Prickeln, wie eine Sprudelblase, die an ihren Fingern zerplatzte. Ihr sträubten sich die Nackenhaare. Im selben Augenblick ertönte ein tiefes, hohles Geräusch, das sie an das Vibrieren einer riesigen Trommel erinnerte. Das Eis unter ihren Füßen bebte. Ein misstönendes Lärmen umgab sie, dumpfes Dröhnen, gepresstes Knirschen, ein wiederholtes schnappendes Knallen wie Pistolenschüsse. Clara lockerte ihren Griff. Die Scherben des Feueropals sahen aus wie angelutschte Bonbonstückchen.
    Grisini schrie auf. Er ruderte wild mit den Armen und schwankte wie ein fallender Baum. Die Eisdecke unter ihm barst und brach ein. Ein lautes Klatschen war zu hören. Clara rannte los. Das Eis ächzte. Sie blickte hinunter und sah die gesprungenen Risse rings um ihre Füße: gekrümmt und zackig wie das Gerippe eines Baums im Winter. Dunkel quoll das Wasser dazwischen hervor. Claras Ballerina-Schläppchen wurden nass. Das Wasser, das sie holen würde, leckte an ihren Füßen …
    »Leg dich hin!«
    Das war Lizzie Roses Stimme!
    »Leg dich flach hin! Wir helfen dir!«
    Clara kauerte sich auf die Knie und streckte sich dann flach auf den Bauch. Das Eis hörte auf, unter ihrem Gewicht zu ächzen. Doch das überwältigende Gefühl der Erleichterung war nur von kurzer Dauer. Jetzt, da sie reglos auf der gefrorenen Fläche lag, spürte sie die schneidende Kälte. Ihre Beine zitterten und sie krümmte die Zehen und den Rücken in dem Versuch, sich kleiner zu machen. Ihre Zähne klapperten. Clara schlang die Arme fest um ihren Oberkörper und presste die Schenkel aneinander.
    Ein schwaches Knirschen ertönte links von ihr. Clara drehte den Kopf. Über das sternenbeschienene Eis ging barfuß ein Engel. Er trug ein weißes Gewand und kam mit seltsam gezierten Schritten auf sie zu. Clara gefror das Blut in den Adern. War das der Tod? Wollte er sie holen? War sie ertrunken oder erfroren, ohne es gemerkt zu haben?
    Aber der Engel trug keine Flügel, und kein Glorienschein umgab ihn. Er suchte sich merkwürdig willkürlich einen Weg über das Eis, er umging im Zickzackkurs die größeren Risse. Und das weiße Gewand war lediglich ein Nachthemd … Ein staunendes Lächeln erhellte Claras Gesicht, denn die Gestalt konnte niemand anderes sein als der Engel ihres Zwillingsbruders.
    Sie richtete sich ein klein wenig auf. Jetzt, da er vor ihr stand, erinnerte sie sich ganz deutlich an ihn. Sieben Jahre war es her, dass sie ihn zuletzt gesehen hatte, aber sie wusste genau, wie er in seinem Nachthemd aussah. Jeden Morgen hatte er sich aus seinem Bett geschlichen und war in ihres geschlüpft. Dort hatten sie beide gespielt, bis das Kindermädchen aufwachte. Sie bauten mit ihren Bettdecken Höhlen und taten so, als wären sie Bären. Clara wusste noch, wie seine Backen breit wurden, wenn er kicherte, und sich seine Augenwinkel verzogen. Ihr Bruder, ihr geliebter Zwillingsbruder, war gekommen, um ihr Trost zu spenden, während sie auf den Tod wartete …
    Aber, Moment – nein: Charles Augustus hatte schwarzes Haar wie sie selbst. Und Charles Augustus war ein stämmiger kleiner Junge. Der Junge im Nachthemd hingegen war spindeldürr, hatte helles Haar und er trug eine Seilrolle über der Schulter.
    »P-Parsefall«, stieß Clara krächzend hervor.
    Der Junge blieb stehen und bewegte sich prüfend hin und her. Das Eis knackte quietschend. Parsefall legte sich auf den Bauch und robbte wie ein gewandtes Insekt auf sie zu. »Ich hab ’n Seil«, sagte er. »Lizzie Rose bindet damit sonst immer ihren Mistköter fest. Sie hat gemeint, es is’ besser, wenn ich’s rüberbringe, weil ich leichter bin wie sie.«
    »Ich danke dir«, erwiderte Clara mit absurder Förmlichkeit und streckte ihm die Arme entgegen. Er wickelte das Seil ab und ließ es wie eine Peitsche vorschnellen, sodass das Ende in ihrer Reichweite landete. »Ist Grisini …?«
    »Ertrunken«, sagte Parsefall. Er schlotterte genauso heftig wie sie. Allerdings schien er es kein bisschen zu bedauern, dass sein ehemaliger Lehrmeister tot war. »Verflixt kalt, was? Rühr dich noch nich’. Ich geh zurück, dahin, wo das Eis dicker is’, und dann zieh ich dich.«
    Clara ließ sich auf die Seite rollen, um das Seilende unter ihre Schärpe zu schieben. Ihre Finger zitterten. »Ich habe den Feueropal zerstört«, sagte sie. Sie verknotete das Ende des Seils einmal um die Schärpe, dann machte sie noch einen zweiten

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