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Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)

Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)

Titel: Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Amy Schlitz
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Parsefall würde die Macht der Hexe erben und ihre Verzweiflung. Und Clara konnte nichts tun, um ihn aufzuhalten. Sie konnte nicht die Tür vor ihm verriegeln, ja nicht einmal eine Warnung ausrufen. Sie war genauso hilflos wie damals, als sie ein kleines Mädchen war und die Cholera das Haus ihrer Familie heimgesucht hatte.
    Unvermittelt fühlte sie sich zurückversetzt in jene trostlosen Tage. Die Anderen waren krank geworden, nur sie war von der Cholera verschont geblieben. Ihr Vater hatte sie im Dachgeschoss unter Quarantäne gestellt. Von ihrer Mutter hatte sie eine Porzellanpuppe bekommen und die Ermahnung, ganz leise zu spielen, weil sonst ihre Geschwister nicht gesund werden würden. Clara wusste noch, wie sie sich in den schmalen Spalt zwischen Wand und Bett gekauert hatte, die Puppe fest umschlungen, und es nicht einmal wagte, zu flüstern. Doch das hatte Die Anderen nicht gerettet. Jetzt war sie wieder stumm.
    Was hatte die Hexe in jener ersten Nacht auf Strachan’s Ghyll doch gleich gesagt? Du musst den Stein nur begehren und du wirst wieder du selbst. Begehre ihn von ganzem Herzen. Wenn dein Verlangen stark genug ist, reißen deine Fäden, und Grisinis Fluch ist gebrochen. Auf diese Weise könnte sie womöglich Parsefall retten. Sie könnte ihn retten, indem sie selbst den Stein stahl. Dann würde sie der Fluch treffen. Clara schloss entsetzt die Augen.
    Das Zimmer um sie herum verschwand.
    Sie schlug die Augen auf, und das Zimmer war wieder da. Sie blinzelte. Sie konnte es nicht fassen, dass es ihr gelang, die Augen zu öffnen und zu schließen. Ihre Brust schmerzte, als würde ihr Herz mühevoll in einem zu engen Raum schlagen. Ich tue es, dachte Clara. Ich stehle den Stein. Ich werde ihn von ganzem Herzen begehren .
    Eine unsichtbare Hand griff nach ihren Fäden. Clara spürte, wie sie an den Löchern in ihrem Fleisch zerrten. Sie baumelte hin und her, drehte sich um die eigene Achse, schwang wie auf einer Schaukel. Mit einem leisen Ffft riss einer der Fäden, die ihren Kopf hielten. Claras Kopf kippte zur Seite. Dann hob sie das Kinn. Sie konnte das. Sie konnte den Kopf aufrichten und die Hände zu Fäusten ballen. Clara krümmte die Finger und legte den Daumen darüber. Wild, ausgelassen boxte sie in die Luft, riss an den Fäden, die durch ihre Handflächen liefen. Ein Stechen fuhr durch ihr linkes Knie, als der Faden daran riss. Ein weiterer Faden gab nach und noch einer. Sie verspürte ein Rauschen der Luft, das Gefühl zu fallen, dann einen harten Aufprall, der ihr sämtliche Knochen durchschüttelte.
    Clara rappelte sich auf und rannte zum Bett der Hexe. Cassandra war leichenblass, doch ihre Augen funkelten. »Ich habe dich. Du bist mir in die Falle gegangen!«, keuchte sie. »Ich habe gewusst, dass es mir gelingt! Ich habe in dein Innerstes geschaut und wusste, du liebst den Jungen. Liebe ist immer eine Falle!« Sie spie das letzte Wort mit solchem Grimm aus, dass Spucketröpfchen flogen.
    Clara stürzte sich in das Himmelbett. Die Hexe wich fauchend zurück und schützte das Goldmedaillon mit beiden Händen. Clara bohrte ihre Daumen dazwischen und zwang die knotigen Finger der alten Frau auseinander. Sie riss das Medaillon mit solcher Kraft an sich, dass die goldene Kette riss. Doch sogleich machte sie einen Satz zurück und schrie auf vor Schmerz. »Er verbrennt mich!«
    Cassandra schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. »Ja, der Stein verbrennt dich«, keuchte sie. »So ergeht es mir seit Jahren. Er hat mehr Macht … wenn du zulässt, dass er dir Schmerz zufügt.«
    Clara starrte auf ihre gerötete Handfläche. Sie hatte insgeheim gehofft, den Stein zerstören zu können, indem sie ihn den Flammen übergab. Jetzt wurde ihr klar, dass sich Feuer nicht mit Feuer bekämpfen ließ. Ein verwegener Gedanke schoss ihr durch den Kopf. »Moment …«, flüsterte sie. Sie stürmte zum Fenster und öffnete es. Die eisige Luft, die ihr entgegenschlug, war eine Wohltat.
    Sie starrte aus dem Fenster. Ihr Blick eilte über den frisch gefallenen Schnee, die Sterne am Himmel und den See, der sich wie eine riesige weiße Untertasse vor ihr ausdehnte.
    Der See … Mit zitternden Händen schob Clara den Schnee auf dem Fenstersims zusammen. Sie fand den Verschluss des Medaillons, ließ es aufschnappen und den Feueropal herausfallen.
    Der Stein plumpste auf den kleinen Schneehügel. Clara verschlug es den Atem. Noch nie hatte sie etwas so Schönes gesehen wie den flammenden Edelstein auf den

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