Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)
ein abscheulicher, böser, selbstsüchtiger Junge bist.«
Parsefall spürte, wie sein Magen sich zu dem wohlbekannten Knoten zusammenzog. Ruby scharrte mit den Pfoten an Lizzie Roses Rock und winselte unglücklich.
»Ich mein ja nur, dass wir proben sollten«, murmelte Parsefall.
»Dann lass dich nicht aufhalten«, sagte Lizzie Rose kühl. Sie hob den Kopf und Tränen glitzerten auf ihren Wangen. »Na los, geh proben, während ich mich zu Tode schufte.«
»Ich kann nicht«, erwiderte Parsefall und kam auf sein anfängliches Problem zurück. »Dein verfluchter Mistköter hat meine Puppe kaputt gemacht. Unsere Puppe«, verbesserte er sich, »die wo ich für die Vorstellung brauche.«
Lizzie Rose schleuderte den Vorhang beiseite und stürmte zu der Weidentruhe mit den alten Puppen. Sie riss den Deckel auf. »Hier drin liegen jede Menge«, sagte sie frostig. »Soll ich eine für dich aussuchen oder lässt du dich dazu herab, das selbst zu tun?«
»Ich kann nich’ nähen«, fing Parsefall abermals an, doch Lizzie Rose wühlte bereits in den Beuteln.
»Hier ist eine mit einem abstehenden Rock«, sagte sie, während sie in einem der Kattunbeutel herumtastete. »Nimm die und lass mich in Ruhe. Ich habe zu viel zu tun, um –«
Sie verstummte abrupt, als sie die Puppe aus dem Beutel zog. Sie atmete scharf ein. »Parse …«
Die Puppe in ihren Händen war herrlich gearbeitet und vortrefflich als Ballerina geeignet. Sie hatte schwarze Locken und trug ein schneeweißes Kleid. Ihr Teint war von zartem Rosa und Weiß und um die hübsch geschwungenen Lippen spielte ein geheimnisvolles Lächeln. An ihrer Halskette hing ein Medaillon, kleiner als eine Erbse. Der Edelstein in der Mitte funkelte blau.
»Parsefall«, wisperte Lizzie Rose, »das ist Clara.«
18. Kapitel
Erwachen
M ir wird schlecht«, erklärte Parsefall.
Die Worte erschreckten Clara. Beim Klang ihres Namens war sie aus einem langen, schlaflosen Traum erwacht. Zwei riesenhafte Kinder starrten auf sie herunter. Hinter ihnen lag ein gewaltiges, schmuddeliges Zimmer, größer als eine Kathedrale. Direkt über Claras Gesicht baumelte, verkehrt herum, eine rot-goldene Flamme. Das war Lizzie Roses Zopfende. Der Zopf bewegte sich nach oben, und Clara bewegte sich auch. Lizzie Rose sprang auf, und Clara fiel. Ihr Kopf schlug auf den Boden.
Clara spürte den Aufprall, aber keinen Schmerz. Ihre Augen blickten starr geradeaus. Ihr blieb nichts anderes übrig, als die Szene zu beobachten, die sich vor ihr abspielte: Lizzie Rose brachte eilig einen Nachttopf herbei, packte Parsefall und stellte das Behältnis vor ihn. Dann hielt sie einen Arm um seine Stirn geschlungen, während er sich übergab.
Clara wollte sich wegdrehen, musste aber feststellen, dass sie das nicht konnte. Bei Parsefalls Anblick stieg auch ihr die Übelkeit hoch, doch sie konnte weder die Augen schließen noch abwenden. Stocksteif lag sie da, verwirrt von der schier unendlichen Größe des Raums und der Anwesenheit der Kinder. Sie hatte keine Ahnung, wie sie hierhergelangt war. Angestrengt versuchte sie, sich zu erinnern, aber ihr Gedächtnis ließ sie im Stich. Ein einziges Bild tauchte vor ihrem inneren Auge auf: nächtliche Straßen und ein hochgewachsener Schatten, der sich aus dem Nebel löste.
Parsefall wischte sich den Mund an seinem Ärmel ab. »Ekliger Geschmack.«
»Ich weiß.« Lizzie Rose ließ ihn los. »Denkst du, es geht wieder?«
»Weiß nich’«, lautete Parsefalls entmutigende Antwort.
Einen Moment lang saßen die Kinder schweigend nebeneinander. Clara fiel auf, dass sie von dem widerwärtigen Geruch des Nachttopfs verschont blieb. Sie starrte an den Kindern vorbei und nahm den höhlenartigen Raum genauer in Augenschein. Von den Wänden blätterte die gelbbraune Farbe und von der Decke hingen Puppen. Hier müssen die Kinder wohnen, dachte Clara, hier bewahren sie ihre Puppen auf . Das muss Grisinis Haus sein …
Der Name Grisini rief eine Erinnerung wach. Grisini, das war doch der Mann, den sie auf der nächtlichen Straße getroffen hatte.
Lizzie Rose rückte ein Stück von Parsefall ab und drehte sich so, dass sie ihn anschauen konnte. »Parse«, begann sie zögerlich, »es tut mir sehr leid, dass ich dir Angst gemacht habe. Ich wollte nicht sagen, dass die Puppe tatsächlich Clara ist …«
Aber ich bin Clara, wollte Clara gerade protestieren, da drang das Wort Puppe in ihr Bewusstsein. Schlagartig begriff sie. Ein kalter Schauer überlief sie. Es fühlte
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