Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)
Clara. Es war eine ausladende, übertriebene Bühnenverbeugung mit gebeugtem Knie, angewinkeltem Zeh und abgespreizten Händen. Zwischen seinen Fingerspitzen tauchte ein schmuddeliger Handzettel auf. Er verharrte wie eine Statue in dieser Narrenpose, bis Clara es wagte, einen Schritt vorzutreten und den Zettel zu nehmen. Das starre Grinsen auf seinem Gesicht hatte etwas Beunruhigendes. Clara fühlte sich ein bisschen heldenhaft, weil sie sich so nahe an ihn herangetraut hatte.
Am Abend gab sie ihrem Vater den Zettel und bat ihn, das Puppentheater für ihren Geburtstag zu bestellen.
Dr. Wintermute lehnte ab. Professor Grisini war Ausländer. Ausländer waren im Allgemeinen schmutzig und hatten oft Krankheiten. Clara bettelte. Dr. Wintermute erklärte, die ganze Sache sei völlig ausgeschlossen. Clara gab sich geschlagen, aber sie schluchzte. Damit war es entschieden: Verwöhnt oder nicht, es kam nicht oft vor, dass Clara weinte, und wenn sie es tat, bekam sie für gewöhnlich ihren Willen.
Bei dem Gedanken an den Besuch der beiden Puppenspieler-Kinder vergaß Clara, unerschütterlich wie ein Fels zu bleiben. Sie zuckte und verlagerte ihr Gewicht auf die Fußballen.
»Stillhalten, Miss Clara!«, fuhr Agnes sie an.
Clara erstarrte. Sie schlug die Augen nieder und zog die Mundwinkel nach oben, damit sie nicht trotzig wirkte. Weder Agnes noch ihre Gouvernante hatten etwas für Schmollen übrig. Clara hatte diesen Gesichtsausdruck vor dem Spiegel geübt. Es war eine neutrale Miene, eine zurückhaltend lächelnde Maske. Im Laufe der Jahre hatte sie ihr gute Dienste erwiesen.
»Ihre Mutter wünscht, dass Sie um neun Uhr angekleidet und zur Abfahrt bereit sind«, sagte Agnes, nachdem sie eine weitere Korkenzieherlocke gedreht hatte. »Sie sagt, Sie sollen das blaue Kaschmirkleid und Ihren Mantel aus Seehundfell tragen. Es wird kalt sein in Kensal Green.«
»Danke, Agnes«, erwiderte Clara. Auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck, als könnte sie kein Wässerchen trüben. Niemand durfte je erahnen, wie sehr sie die Besuche in Kensal Green hasste.
»Die Köchin war den ganzen Morgen damit beschäftigt, Ihre Geburtstagstorte zu verzieren« – Agnes drehte eine weitere Locke um ihren Finger – »und Ihre Mutter hatte so viele Geschenke einzuwickeln, dass sie die Dienstmädchen bitten musste, ihr zu helfen. Ich weiß wirklich nicht, was ein kleines Mädchen mit so vielen Geschenken will.«
»Agnes, weißt du …«, setzte Clara zögernd an. Ihre Stimme versiegte. Agnes versetzte ihrer Schulter einen Stups. »Raus damit.«
»… ob sie Geschenke für Die Anderen gekauft hat?«
Agnes holte Luft, dann atmete sie wieder aus. »Wenn Sie damit Ihre Brüder und Schwestern meinen, ja, das hat sie, Miss Clara. Und es gibt keinen Grund, deshalb auf den Boden zu starren und zu schmollen.«
»Ich schmolle nicht«, widersprach Clara leise. Sie hob das Kinn und setzte wieder ihr puppenähnliches Lächeln auf. Ihre Wangen brannten. Sie wollte nicht, dass Die Anderen Teil ihres Geburtstags waren. Sie schämte sich dafür, aber sie konnte nichts gegen dieses Gefühl tun.
»Sie wissen, wie Ihre Mutter ist, Miss Clara«, sagte Agnes mit Nachdruck. »Es ist wie mit dem Besuch in Kensal Green. Das ist und bleibt so.«
Clara senkte den Blick auf ihr Gebetbuch. Sie schwieg für einen kurzen Augenblick und schien in die Lektüre vertieft zu sein. Dann hob sie den Kopf. »Agnes«, sagte sie mit zitternder Stimme, »da gibt es etwas, womit du mir bitte helfen musst. Etwas, was ich mir ganz schrecklich wünsche.«
Das Dienstmädchen legte den Kamm beiseite und griff zur Bürste. »Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, was das sein sollte, Miss. Ich glaube nicht, dass Princess Victoria so viele Kleider hat wie Sie oder solche Mengen an Spielsachen.«
Claras Magen zog sich zusammen. Wenn Agnes erst einmal damit anfing, wie glücklich sie sich schätzen sollte, fand sie so schnell kein Ende mehr. Jetzt galt es, rasch zu reagieren. »Bitte«, sagte sie flehentlich, »bitte …«
Agnes ließ die Bürste fallen. Sofort bückte sich Clara und reichte sie ihr.
»Was ist es denn?«, fragte Agnes.
»Ich will die Kinder zum Tee einladen«, antwortete Clara. »Professor Grisinis Kinder. Weißt du, deshalb wollte ich unbedingt, dass das Puppentheater kommt – wegen der Kinder. Es sind ein Junge und ein Mädchen. Der Junge bedient die fantoccini und das Mädchen kann Flöte und Geige spielen. Es war so furchtbar nett.« Clara griff nach
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