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Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)

Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition)

Titel: Clara und die Magie des Puppenmeisters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Amy Schlitz
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war, doch sie erkannte ihn: ein wohlhabender Herr mit dem gleichen dunklen Haar wie sie und breiten Schultern. Sie hätte gern nach Luft geschnappt und ihm zugerufen. Parsefall drehte das Spielkreuz und ließ Clara en pointe, auf Spitze, um die eigene Achse kreiseln. Als sie wieder stehen blieb, blickte sie ihrem Vater genau ins Gesicht.
    Er war leichenblass. Sie sah, wie er sich mit den Ellbogen einen Weg nach vorne vor die Bühne bahnte. Ihr Vater, der nie drängelte, ihr Vater, der nie laut wurde, brüllte jetzt: »Woher haben Sie die Puppe?«
    Parsefalls Hand zuckte, sodass Clara mit gestreckten Beinen einen Luftsprung vollführte. Er schwang sie über das Bühnenbild, hinter die Kulissen.
    »Woher haben Sie …« Dr. Wintermutes Stimme war wie ein Donnern. Seine Hand griff unter dem Kulissenbild hindurch und bekam Claras Beine zu fassen.
    Aber Parsefall ließ nicht los. Die Fäden an Claras Kopf strafften sich. Sie spürte, wie die Schrauben an ihren Schläfen knirschten. Ihr Vater umklammerte sie so fest, dass sein Arm zitterte. Ein Schauer durchzuckte sie wie ein Stromschlag. Aber er liebt mich ja!, dachte sie erstaunt. Der Gedanke war ihr neu. Wenn irgendjemand sie gefragt hätte, natürlich hätte sie dann gesagt, dass ihr Vater sie liebe. Gute Väter hatten ihre Kinder zu lieben, immer. Aber ihr war stets bewusst gewesen, wie sehr er um Charles Augustus trauerte. Sie war der Zwilling, der hätte sterben sollen. Und jetzt, da sie spürte, wie die Hand ihres Vaters zitterte, erkannte sie plötzlich, dass sie ihm viel bedeutete, und am liebsten hätte sie vor Freude geweint.
    Einer der Fäden an ihrem Kopf riss. »Lassen se los!«, schrie Parsefall. Im Publikum wurde unzufriedenes Murren laut, weil die Vorstellung unterbrochen worden war. »Geben se mir meine Puppe wieder!«, schrie Parsefall und erhielt Unterstützung von den umstehenden Zuschauern. »Genau! Lassen Sie seine Puppe los und gehen Sie zur Seite!«
    »Na los, alter Herr!«, brüllte ein Junge von ganz hinten. »Geben Sie Frieden und lassen Sie die Vorstellung weitergehen!«
    »Es ist nicht recht, einem armen Jungen die Puppe zu stehlen«, erklärte eine ältliche Frau. »Damit verdient er sich sein Brot!«
    Dr. Wintermute schien gar nichts wahrgenommen zu haben. »Ich kenne dich!«, schrie er. »Du bist der Junge von diesem Grisini! Ich habe dich an dem Tag gesehen, als meine Tochter entführt wurde. Grisini hat die Puppe gemacht, oder? Er hat sie entführt. Er hat mir meine Clara weggenommen!« Seine Stimme brach. »Sag mir, was er mit ihr gemacht hat.«
    »Grisini is’ weg!«, blaffte Parsefall zurück und verbesserte sich sofort. »Tot is’ er. Hat sich den Schädel eingeschlagen. Lassen se mich in Ruh!« Seine Stimme wurde lauter, um die Unterstützung des Publikums zu gewinnen. »Lassen se meine Puppe los, Sir! Tun Sie mir nich’ weh! Ich hab nix getan!«
    Sein Trick funktionierte. Clara hörte ein Rascheln auf der anderen Seite des Vorhangs. Ein Mann sagte: »Eine Schande ist das!«
    »Genug, Sir! Wenn Sie dem Jungen etwas tun, rufe ich einen Wachtmeister!«, rief die ältliche Frau mit bebender Stimme.
    Parsefall quiekte wie ein Schwein. Dr. Wintermute ließ Clara los und kam um den Wagen herum. Er packte Parsefall am Kragen, damit er ihm nicht entkommen konnte. »Was meinst du damit, er ist tot? Er kann nicht tot sein! Wie kann er tot sein?«
    Parsefall schüttelte sich wie eine nasse Katze, zappelte und wand sich. Im Eifer des Gefechts entglitt ihm Clara und landete mit dem Gesicht nach oben auf dem Kopfsteinpflaster.
    Zwei Hände griffen nach ihr. Eine war groß, sauber und kräftig, eine Hand, die Clara ihr Leben lang geliebt hatte. Die andere war klein und schmutzig und ihr fehlte ein Finger. Clara wusste augenblicklich, von welcher Hand sie aufgehoben werden wollte. Bitte! , flehte sie still. Als hätte er ihre Gedanken gehört, schnappte sich Parsefall Clara und stopfte sie in seine Jacke.
    Lauf!, dachte Clara eindringlich. Sie wollte nichts wie weg. Falls ihr Vater, der sie liebte, sie Parsefall entriss, würde er sie zurück nach Hause bringen. Ihre Mutter würde Tränen über der Puppe vergießen, die der verlorenen Tochter so ähnelte. Und dann würde Clara an der Wand hängen, neben den Totenmasken Der Anderen. Sie würde nie mehr tanzen, sie würde alle Hoffnung verlieren, je ins Leben zurückzukehren.
    Sie spürte, dass Parsefall einen Satz zur Seite machte. Es gab ein Handgemenge. Sie hörte die klappernden Münzen in

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